Wenn man aus dem Harz stammt, hält man Wälder für selbstverständlich. Doch im wahren Norden kann man danach lange suchen. Abgesehen von der einen oder anderen rühmlichen Ausnahme wie dem Lauerholz scheinen größere Ansammlungen von Bäumen den hiesigen Menschen unheimlich zu sein. Selbst wo nur drei, vier bescheidene Stämmchen beisammen stehen, entsteht schon die Illusion von Wald, und man wähnt gleich ein Wolfsrevier – so wie neulich im Lübecker Stadtteil Moisling.
Ob in nächster Zeit, wenn Klimaschutzprojekte realisiert werden (sollen), der Waldbestand in Schleswig-Holstein aufgestockt wird? Zu hoffen wäre das nicht nur für erholungbedürftige Stadtmenschen, sondern auch für die Tierwelt.
Waldarmes Land
Während etwa in Niedersachsen rund 25 % der Landesfläche von Wald bedeckt ist, sind es im nördlichsten Bundesland nicht einmal ein Achtel der Fläche. Der Norden ist waldarm. Und die Dürresommer 2018 und 2019 haben den spärlichen Beständen überdies erheblich geschadet, wie man dem Waldzustandsbericht des Landes entnehmen kann.
Die vielen Bäume und die wenigen Menschen – die machen den Wald so schön. Man kann den Stoßseufzer, den der Aphoristiker Otto Weiß (1849 – 1915) beim Formulieren ausgestoßen haben mag, förmlich hören! Ob er dabei eher an ruhesuchende Spaziergänger oder an verschrecktes Wild gedacht hat, ist nicht überliefert.
Viele Tiere sind auf zusammenhängende Gehölz- oder Gestrüppflächen angewiesen, um nicht auf freier Fläche von Räubern erspäht und angegriffen zu werden. In Schleswig-Holstein liefern die Knicks an den Feldrändern die Illusion von Wald. Im Hasel- und Brombeerdickicht überlebt beispielsweise die bedrohte Haselmaus, die anderswo in richtigen Wäldern Schutz sucht.
Knicks, die mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen Wälle, prägen im Norden nicht nur das Landschaftsbild. Sie schützen den Boden vor Erosion, Wind und Frost und bieten Flora und Fauna einen Rückzugsort und Vögeln eine Brutstätte.
Doch zusätzlich zur Illusion von Wald kann der Norden mehr wirkliche Wälder gebrauchen. Das ehemals von Küste zu Küste bewaldete Land hat unter großflächigen Rodungen verschiedener Epochen und aus verschiedenen Gründen gelitten. Industrialisierung, intensive landwirtschaftliche Nutzung und Deichbau seien genannt. Die Ökologie stand stets hintan.
Mittlerweile setzt das Land auf naturnahe Waldwirtschaft und schreibt nach eigenem Bekunden die Umweltbildung groß. Wälder werden langfristig geplant. Bleibt zu hoffen, dass folgende Maxime befolgt wird: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt.
Fotos: Karla Letterman