„Pscht!“ Eagle Eye zog seine Kumpels in die dunkle Ecke des Parkplatzes. Warum, brauchte er ihnen nicht zu erklären, denn auch die anderen drei hatten nun Gregor Lautenbach erblickt, der an der Spitze einer Gruppe gut gekleideter Männer Richtung Kurpark stolzierte. Dabei dozierte er über die Vorteile des Städtchens.
„Und durch meine hervorragenden Verbindungen als Vorsitzender des ‚Club de la Licorne‘ ist es mir gelungen, sehr wahrscheinlich einen Investor für das Gelände Königshütte zu finden. Daran haben sich ja, wie Sie womöglich gehört haben, bereits viele Honoratioren die Zähne ausgebissen. Man sollte eben den Richtigen mit dem Wichtigen beauftragen. Schöner Binnenreim, nicht wahr, meine Herren!“ Die Gruppe gab höfliches Lach-Imitat von sich.
Hey, was macht ihr da?
„Ey, aufpassen, Leute“, schrie Leon auf, „das Feuer!“ – „Uiii!“ – „Mann!“ Die Jungen waren hin- und hergerissen zwischen Faszination, Erstaunen und Schrecken. Eagle-Eye fand als erster in die Realität zurück. Schnell griff er Marvins Rucksack, warf Bingo zwei Bierdosen zu und rief: „Löschen!“ Gleichzeitig riss er selbst zwei Dosen auf und kippte den Inhalt in die Flammen. Später, in der Rückschau, würde ihm bewusst werden, dass er in dem Moment den Sinn der Redewendung vom Tropfen auf den heißen Stein begriffen hatte.
Dann geschah alles durcheinander. Marvin rief: „Mann, Scheiße, das Bier!“ Leon zerrte den rosa Trolley aus der Gefahrenzone. Eine Stimme von einem Balkon von Riemanns Kurhotel rief: „Hey ihr, was macht ihr denn da?“ Und dann eine zweite, schrillere: „Hilfe. Feuer!“ Lichter gingen hinter Fenstern an.
Bingo kreischte: „Weg hier! Mir nach!“ Die vier rannten, was sie konnten, in Richtung Sparkasse. Das Einkaufswägelchen protestierte scheppernd und ächzend gegen die ungehobelte Gangart. Bei dem Tempo blieb Leon jedoch keine Luft zum Fluchen. Bingo hatte instinktiv den Weg eingeschlagen, der außerhalb der Blickrichtung der Balkone lag.
Diese Leseprobe entstammt dem Roman „Die Hexenpapiere“ von Karla Letterman.
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