Hilfe! Ich werde interviewt!

Vorbereitungszeug denn ich werde interviewtWarum nur fällt mir schon wieder eine Liedzeile von Reinhard Mey ein: „Chaos, Panik, Fluchtgedanken“? So heißt es in seinem Lied „Unterwegs“, in dem er das Lampenfieber vor dem nächsten Auftritt schildert. Ich bin nicht unterwegs. Ich sitze – naja: kauere – am heimischen Schreibtisch. Lampenfieber aber habe ich auch. Denn ich werde interviewt!

Hilfe! Morgen ist es soweit. Der Moderator Michael Krause vom Radiosender 889fm Kultur wirkt nicht unbedingt wie der Vampirreporter, der mich aussaugen will, zugegeben. Ich sollte also entspannen. (Schluck Sekt.) Und mich auf das Interview freuen! (Schluck Sekt.) Doch was, wenn mir die Stimme versagt? (Schluck Whisky.) Oder, noch schlimmer…

…wenn die Großhirnrinde sich … abschält – oder was Großhirnrinde eben so macht, wenn sie streikt?! Panik! (Schluck Kamillentee; Mist – leer, also Schluck Whisky.)

Vor drei Tagen habe ich großspurig im Kollegenkreis verkündet: Ach, übrigens, ich werde interviewt. Jaaa, ihr könnt mich dann am Sonntag im Radio hören. Nein, ich habe keine Angst, ich doch nicht!

Wegen der sozialen Distanzierung konnte ich das nicht persönlich, sondern nur in der Onlinekonferenz bekanntgeben, und da haben die Kollegen meine plötzlich einsetzende Heiserkeit der technischen Überlastung des Videokanals zugeschrieben.

Jetzt könnte ich mich ohrfeigen (Doppelschluck Whisky)! Was, wenn die morgen alle das Live-Interview anschalten, mich stottern hören und sich beömmeln? Wenn mir mein Chef am Montag kommentarlos den Gutschein für einen Rhetorikkurs mailt? Wenn mir meine engste Kollegin dezent empfiehlt, den nächsten Krimi im Radiomilieu anzusiedeln? Weil du dich dann an den Moderatoren dieser Welt rächen kannst. Fluchtgedanken!

Ankündigung von Kulturradion 889FMIch habe schon diverse Spickzettel zerrissen. Ich habe versucht, mir originelle Antworten zurechtzulegen. „Was, du willst ernsthaft sagen, dass du einen Banküberfall planst und dafür als Krimiautorin gefahrlos recherchieren kannst!?“ Mein Mann hat gerade mein Whiskyglas geleert und mit vorwurfsvollem Blick eine Kanne Kaffee auf den Schreibtisch gedonnert.

Ich gestehe hiermit öffentlich: Ich bin aufgeregt! Ich werde interviewt. Eigentlich total klasse, das habe ich mir lange gewünscht. Doch jetzt… jetzt, da der Termin näherrückt… Ich glaube, ich lege mir sicherheitshalber einen selbstgenähten Mundschutz zurecht. Und wenn ich dann morgen nicht mehr weiter weiß, dann schiebe ich das unverständliche Gemurmel einfach auf den dichten, dreilagigen Spezialstoff von der Strumpfmaske. Ich habe nämlich schon mal ein wenig wegen meines geplanten Coups recherchiert…

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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