Warum ich erst beim vierten Anlauf das Rote Kliff sah

Ein Mann am Strand fotografiert eine MöweNach Sylt fahren, in Westerland einchecken, einen Spaziergang zum Roten Kliff unternehmen – klingt machbar. Soweit die Theorie. Wir hatten ein paar Tage Urlaub auf ›Der Insel‹ gebucht, und weil wir es vor sieben Jahren so gemacht hatten, wollte ich auch jetzt gleich am ersten Tag das Rote Kliff sehen.

Wir beschrifteten also artig unsere Gästekarten, zeigten sie der Strandübergangswärterin, begaben uns an die Wasserkante und marschierten Richtung Norden. Da musste das Rote Kliff bald in Sicht kommen, doch, doch, ganz bestimmt.

Ich wusste, es würde sich lohnen. Okay, das Wetter war suboptimal, der Himmel verhangen, der Wind blies von vorn. Doch wo ein Wille ist, ist auch Geduld …

Strand mit tief hängenden, dunklen Wolken… mehr oder weniger. Wir gaben uns Mühe, die Wolken schön oder zumindest interessant zu finden. Wir fotografierten die Möwen mit einem Enthusiasmus, als gäbe es an der Ostsee keine. Wir setzten tapfer einen Fuß vor den anderen.

Doch irgendwann konnten wir es nicht länger leugnen: Dieser Spaziergang war öde. Als wir laut Karte immer noch zwei Kilometer vom Roten Kliff entfernt waren, dachten wir schon entsetzt an den Rückweg. Da gestanden wir uns ein: Wir hatten keine Lust mehr. Kein Problem, sagte ich mir, dann unternehmen wir morgen einen neuen Anlauf.

Schlechte Sicht

Auf einer Düne bei KampenGesagt, getan.

Wir stiefelten los. Bei Windstärke 11. Diesmal nahmen wir den Bus bis Kampen, um gleich vor Ort zu sein. Denn wir hatten die Meldungen gehört: Orkan! Vorsicht am Strand!

Sturmwolken über der NordseeAch – so versicherten wir uns gegenseitig heiter – nur Warmduscher haben ein Problem mit Sturm und Wetter. Wir hingegen sind schließlich nicht aus Zucker!

Also stiegen wir bei strammem Gegenwind die Düne hinunter – und erstarrten regelrecht. Der Wind fegte uns den Sand ins Gesicht, und die Kamera war kaum zu halten. Dennoch schritten wir beherzt fürbass.

Sandsturm am KliffDie Lichtstimmung über der See war ja wirklich fotogen, wie für uns gemacht. Doch wo genau war eigentlich das Rote Kliff? Leider mussten wir die Augen beim Blick in Richtung Dünen so fest zugekneifen, dass wir es nicht ausmachen konnten.

Am nächsten Tag ignorierten wir das Rote Kliff.

Leute sitzen auf einer Bank im dichten NebelDoch es ließ mir auf Dauer keine Ruhe. Verdammt, dieses Kliff würde sich uns nicht entziehen können! Also schnürten wir einen Tag später erneut die Rucksäcke und brachen auf. Wir kamen auch problemlos zum Strandübergang in Kampen. Wir mussten uns keinem Sturm entgegenstemmen, kein Sand vergällte uns das Hinschauen.

Das Rote Kliff im dichten NebelPrompt rissen wir die Augen auf, um nichts zu verpassen. Und doch … Wir sahen so gut wie nichts. Denn nun hatten wir einen Nebeltag erwischt.

Wir wussten ganz genau, das Rote Kliff war an unserer Seite. Doch Petrus war nicht auf unserer Seite. Es wurde ein netter Spaziergang mit viel frischer Luft, viel Wasserblick und viel Möwengekreisch.

Glück am letzten Tag

Am letzten Tag unseres Urlaubs wollten wir es wissen!

Das Rote Kliff auf Sylt bei bedecktem HimmelWir fuhren mit dem Bus nach Kampen. Wir hatten die Kameras dabei, genügend Trinkwasser für eine Wüstenrallye … und den Mut der Verzweiflung.

Heute würde es klappen, sprach ich mir Zuversicht zu. Es musste einfach klappen, denn es war ja die letzte Gelegenheit.

Das Rote Kliff auf der linken SeiteUnd tatsächlich sahen wir das Rote Kliff klar und deutlich vor uns, dann neben und schließlich hinter uns. Zugegeben, die Farbe Rot erkannte man nur mit viel Fantasie, und wir gestanden uns nach längerer, peinlicher Pause gegenseitig, dass wir den Sturm- und den Nebeltag interessanter gefunden hatten. Doch, so wussten wir aus dem Reiseführer, das Rote Kliff muss man eigentlich bei Sonnenuntergang bewundern.

Also bleibt uns nur eine Möglichkeit: Wir kommen wieder!


Fotos: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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