Unter Reihern weiterhäkeln

Häkeln - hier die Beine eines KanarienvogelsVon mir als Karl-May-Vielleserin erwartet man vermutlich nicht, dass ich »Unter Reihern« bin. Vielmehr wird man mich Unter Geiern wähnen. Zum anderen wird man davon ausgehen, dass ich mit dem Bärentöter um mich knalle oder etwas wie Old Shatterhands »Henrystutzen« benutze, wenn ich mich mit dubiosen Vögeln konfrontiert sehe. Doch was tue ich? Weiterhäkeln. Ungerührt.

Dies zeigt zweierlei.

Ein gehäkelter ReiherZum einen, dass ich bereits eine Zeitlang häkele. Zum Zweiten, dass ich selbst ein dubioser Vogel bin. Denn wer, bitteschön, knüttelt heute noch Wolle mittels eines kleinen Hakens zu kuriosen Gebilden? »Häkelmuster sind so piefig, dass sie sich nur für Klorollenhüte eignen«, findet ein mir Nahestehender, in diesem Artikel jedoch nicht Genanntwerdenwollender.

Auch, wenn mir derlei Einlassungen wehtun: Ich mache weiter. Unaufhaltsam.

Wollknäule zum HäkelnDenn jetzt, während der Krise, besinne ich mich auf früher, auf Tröstliches. Bevor ich Dressurreiterin werden wollte, hatte ich den Plan, ein Wollgeschäft zu eröffnen, wenn ich groß wäre. Ich gehöre nämlich zu den Glücklichen, die im Handarbeitsunterricht Masche an Masche reihen und dabei vom Glitzerjäckchen für den glamourösen Auftritt träumen durften. Auch wenn mir letzterer nie gelang, nahm ich eine wertvolle Erfahrung aus den Schulstunden mit. Umgeben von Wollknäulen lässt sich trefflich schwelgen!

Ein Kanarienvogel wird zusammengenähtIst es Nicht-Strickenden, Nicht-Häkelnden zu vermitteln, welches Wohlgefühl, welche Zuversicht gar ein properer Wollvorrat ausstrahlt? Da harren potenzielle Schmusepullis und Kuscheltiere in den Regalen. Man muss sie nur noch anfertigen.

Der Drang, endlich wieder etwas aus Wolle herzustellen, wurde geweckt, als mir durch Zufall ein Buch in die Hände fiel: »Edwards freche Tierparade / Vögel« von Kerry Lord.

Ein gehäkelter FlamingoIch blätterte es auf, entdeckte den Flamingo – und musste das Buch kaufen. Zwar folgte ich nicht Kerrys Wollempfehlung, sondern begnügte mich mit günstiger Baumwolle. Doch der Flamingo, den ich in meinem ersten Anflug von Wahnsinn in einer Nacht durchhäkelte, fand großen Anklang. Seitdem kann ich an kaum etwas anderes denken. Ich muss weiterhäkeln. So erschuf ich bereits Kanarienvogel, Schwan, (Stockenten-) Erpel und (Sturm-) Möwe nach Kerry Lords Anleitungen. Dann folgte die Kür. Ich begann, ihre Muster abzuwandeln, und fertigte Pfirsichköpfchen (eine Papageienart) und Graureiher.

Einen Schwan nach Anleitung häkeln»Du hast eine Meise«, befand gestern meine Freundin Vera, die ich ins Vertrauen zog. Ich musste klar verneinen. Noch ist es nicht soweit.

Der fertig gehäkelte SchwanDoch auch der Nicht-Genanntwerdenwollende beginnt, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Zwar muss er zugeben, dass meine Häkelvögel nicht wie Mützen für Toilettenpapierrollen aussehen.

Doch ihn ängstigt der Suchtcharakter meiner Handarbeitswut. »Werden wir etwa an Heiligabend eine gehäkelte Gans zum Rotkohl auf den Teller bekommen?«, fragt er.

Keine Gans - ein Erpel zu WeihnachtenDa kann ich ihn beruhigen. Eine doofe Gans habe ich derzeit nicht in Arbeit, vielmehr einen fantastisch glamourösen Pfau. Ich habe noch eben vor dem Lock-Down strahlend-königsblaue und tief-türkisfarbene Wolle ergattert – sagenhaft!

Auch die Meise muss noch warten. Denn nach dem Pfau sind erst einmal die Geier dran.

Buchtipp

Kerry Lord:
Edwards freche Tierparade – Vögel
40 flatternde Häkelfreunde
F&W Media / frechverlag GmbH, Stuttgart 2016


Fotos: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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