Stricknadel oder Mistgabel?

Was aus meinen kindlichen Berufswünschen wurde

Karla Letterman auf dem PferdAls angehende Jugendliche gab es zwei Dinge, die mich restlos begeistern konnten: Handarbeiten und Reiten. Seit wir ab der dritten Grundschulklasse stricken und häkeln lernten, freute ich mich wie Bolle darauf, neue Wolle aussuchen zu dürfen. Und seit ich mit meiner Freundin Claudia das erste Mal um die Wette galoppiert war, liebte ich dieses Gefühl von Freiheit. So gab es für mich bei der Berufswahl nur zwei Möglichkeiten: Stricknadel oder Mistgabel.

Karla Letterman in einer DressurprüfungEtwas offizieller ausgedrückt wollte ich also Pferdewirtin oder Wollladenbesitzerin werden. Von Zeit zu Zeit änderten sich Nuancen. So träumte ich, nachdem ich bei Reitturnieren kleine Erfolge feiern konnte, von einer Karriere als Dressurreiterin. Mein Vorbild war die Schweizerin Christine Stückelberger, nicht nur, weil sie viele Medaillen gewann, sondern weil ich sie so unglaublich elegant fand. Überhaupt – diese Kleidung der Reiterinnen, besonders dieses Hütchen! Ich schmolz bei seinem Anblick zuverlässig dahin. Genau so etwas wollte ich auch tragen, doch bei den Anfängerklassen (E und A) waren nur stinknormale Reitkappen üblich. Also musste ich höher hinaus! Doch war ich dafür überhaupt gut genug?

Sattel oder Sessel?

Sollte ich mich, vor die Wahl zwischen Sattel und Sessel gestellt, nicht doch besser für das Handarbeiten entscheiden? Schließlich löste es bei mir die gleichen Glücksgefühle aus. Ich sehe noch heute die rosa-rot-melierte Schurwolle vor mir, die ich für den Schal für meine Puppe Karin aussuchte, und ich weiß noch ganz genau, wie es sich anfühlte, vor überquellenden Wollregalen zu stehen. Denn genauso fühlt es sich heute immer noch an: Es ist die pure Wonne! Später hatte ich eine Häkeltop-Phase, dann eine Islandpullover-Ära.

Kurz vor dem Abitur strickte und ritt ich immer noch sehr gern, doch beruflich wollte ich nun lieber schreiben. Ich hatte das Glück, ein Volontariat, die Ausbildung zur Journalistin, machen zu dürfen und hämmerte fortan Berichte und Reportagen in die Tasten. In Schreibmaschinen-Tasten übrigens zunächst, denn Computer wurden in Redaktionen erst etwas später eingeführt.

Mein Lebensweg und mein beruflicher Werdegang verliefen alles andere als geradlinig, doch den Leidenschaften meiner Kindheit blieb ich treu. Wenn ich auch das Reiten viele Jahre ruhen lassen musste, blieb ich vor jeder Pferdekoppel stehen und bewunderte muskulöse Hälse und geschmeidige Galoppsprünge. Im fortgeschrittenen Alter erfüllte ich mir dann einen Kindheitstraum: Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt zu tölten, und nahm Unterricht in einer Islandpferde-Reitschule. Es fühlt sich großartig an! Dennoch sind Jodhpurhose und Chaps wieder eingemottet – als Hobby ist mir Reiten heute einfach zu zeitaufwändig.

Stricknadel oder Mistgabel - hier hat die Stricknadel gewonnenAuch Nadel und Faden verschwanden immer wieder für einige Zeit in der Schublade, wurden aber auch immer wieder hervorgeholt, und während des ersten Corona-Lockdowns eroberten sie jene Stunden, die vorher den Yoga- und Gymnastikkursen vorbehalten waren. Seitdem wünsche ich mir von jedem, der fragt, Gutscheine für mein Lieblings-Wollgeschäft. So kommt es, dass ich mich manchmal, wenn ich »eigentlich« einen Text fertigstellen wollte, mit der Häkelnadel in der Hand wiederfinde.

Also stellte sich mir die Frage: Lässt sich das nicht miteinander kombinieren, handarbeiten und schreiben? Zumindest besser als handarbeiten und reiten, sollte man meinen … (Fortsetzung folgt!)


Fotos: Archiv Karla Letterman; Thomas Schmitt-Schech

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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