Manchmal liegt ausgerechnet dann ein hübsches Wollknäuel neben dem Laptop, wenn man sich mit dem Schreiben schwertut. Ist mir gerade erst passiert. Und so nahm das folgende Geschehen seinen Lauf.
- Ich könnte ja probeweise ein paar Maschen häkeln – aber wirklich nur um zu sehen, ob die Nadelstärke, die ich mir vorstelle, zur Wolle passt.
- Oh, tatsächlich: passt! Sieht eigentlich ganz gut aus. Könnte man was draus machen. Aber na ja, ich habe mir ja vorgenommen, diesen Text endlich fertigzustellen.
- Genauer gesagt: Fertig ist er ja längst, der Text. Es steht auch schon fest, dass er in eine Anthologie aufgenommen wird. Also eigentlich alles paletti – nur mit den Anmerkungen aus dem Lektorat muss ich mich noch auseinandersetzen. Das bisschen Feinarbeit …
- Witzig, der Text spielt an der Ostsee, und diese Wollreste, die ich da neulich zusammengesammelt habe, haben die Farben des Himmels und des Meers. Hellblau, azur, türkis, grün. Schöne Farben!
- Die Ostsee, ach ja, und ihre Tücken … ein Seeungeheuer, das der Sage nach Harfen aus Menschenknochen baut.
- Die Geschichte, ach ja, und die Tücken der Feinarbeit. Kann ich das Ungeheuer auch als ›Monster‹ bezeichnen? Oder weckt das falsche Assoziationen?
- Feinarbeit, ach ja. Ich hatte doch neulich so ein Häkelmuster entdeckt, das ganz nett aussah. Wo habe ich es noch gleich hingelegt?
- Monster? Untier? Schon eher.
- Hatte ich das Muster nicht als Lesezeichen in Dörte Hansens ›Mittagsstunde‹ verwendet? Schnell mal nachsehen, bevor ich es wieder vergesse!
- Da ist es ja wirklich! Wie – erst häkelt man einen Kreis, und dann soll daraus ein Quadrat werden?! Die müssen sich irren. Falsche Häkelschrift.
- Untier? Mit derselben Vorsilbe wie Ungeheuer klingt es zu ähnlich. Was meint die Lektorin? Ich soll es beim Namen nennen: Roggenbuk. Na gut.
- Ach Mist, jetzt habe ich ›Roggenbuk‹ dreimal hintereinander in zwei kurzen Absätzen verwendet. Das geht gar nicht!
- Ob das mit dem Quadrat doch funktioniert? Das wäre ja ein Ding.
- Wow – funktioniert! Sieht gut aus in Türkis. In Blau wirkt es bestimmt auch, schnell mal testen … stimmt.
- Ich springe erst mal an eine andere Textstelle, sonst komme ich ja nie voran! Die Lektorin hat Rechtschreibfehler moniert – okay, das ist schnell geändert. Muss es wirklich ›jedes Mal‹ heißen? Ja, sagt der Duden. Wieder was gelernt.
- Die grüne Wolle ist ein bisschen stärker als die anderen. Wieviel größer so ein Quadrat wohl würde? Kleine Unterschiede könnte ich beim Dämpfen ausgleichen …
- Zurück zum Roggenbuk. O nee – ich kann mich nicht entscheiden, wie ich’s schreiben soll. Ich mache morgen weiter.
- Nanu, das ist ja schon ein ganzer Stapel an Häkelquadraten! Wie schnell das doch geht, wenn man dabei über Formulierungen sinniert …
- Könnte das einen Patchwork-Poncho ergeben? Mal messen!
- Wie schade, für einen Poncho reicht es nicht, nicht mal für einen klitzekleinen. Dabei fügen sich selbst die grünen Quadrate gut an die anderen. Und nun?
- Ich schreibe einfach vom Wassermann mit den grünen Haaren! Die Formulierung beißt sich mit keiner anderen, und es steckt sogar noch Information darin. Gute Idee!
- Ich lege die Quadrate mal längs zusammen, immer zwei nebeneinander. Jetzt reicht es für einen Patchwork-Schal. Gute Idee!
- Noch noch eine Idee: Ich werde den Schal bei der Lesung der Seeungeheuer-Geschichte tragen! Die Anthologie bekommt voraussichtlich den Titel »Wasser.Zeichen«. Bin gespannt, wie sie wird! Ich jedenfalls habe meine Geschichte rechtzeitig abgegeben.
Fotos: Karla Letterman