Spinnerei von der Zucker-Spinne

Es war einmal eine Spinne, die lebte im Konferenzraum einer großen Firma. Dort fanden oft Treffen und Vorträge statt, und die Spinne hockte in der dunklen Ecke unterm Fensterbrett und lauschte. Sobald sich eine Konferenz ohne Frauen abspielte, redeten die Männer ein bisschen über Berufliches und viel über das weibliche Geschlecht.

Wenn die Männer eine Frau anhimmelten, sprachen sie von der Zuckerschnitte. Wenn sie eine Frau süß fanden, war sie das Zuckermäulchen. Auch von Zuckerstück und Zuckerschnute redeten sie.

Die Spinne wollte auch bestaunt, bewundert und süß gefunden werden. Also kraxelte sie den Konferenztisch herauf und mühte sich bis zur Mitte des riesigen Tisches, wo die Zuckerschale stand. Sie krabbelte den glatten Glasrand nach oben, verschnaufte einen Moment und ließ sich dann ins Innere der Schale hinab.

Die nächste Konferenz nahte, die Spinne freute sich darauf, gebührend gewürdigt zu werden.

Die Spinne hatte Pech. Zur Konferenz war auch Karla Letterman eingeladen, und die versteht keinen Spaß, was achtbeinige Zeitgenossen betrifft. Denn ihr Motto lautet:

Nur eine platte Spinne ist eine gute Spinne.

Sie handelte danach. Die winzigen, krümeligen Reste des Ex-Spinnenbeins rührte sie gedankenlos im Zucker unter.


Foto: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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