Keine Zukunft ohne Bauern!

Bauern auf dem Weg zur Demo in Berlin Da staunte die Redaktion der Lübecker Nachrichten (LN) nicht schlecht: Am Nachmittag des 27. November fuhren verärgerte Leser*innen vor dem Verlagsgebäude vor – im Traktor. „Keine Zukunft ohne Bauern!“ hatten sie auf ein Plakat geschrieben. Und dann erklärten sie dem Chefredakteur den Anlass ihres Unmutes, nämlich eine Karikatur in der Mittwochsausgabe. Sie zeigt zwei Menschen im Gespräch vor einem Bienenstock am Rande eines Feldes, auf dem ein Trecker unterwegs ist. Die beiden staunen über neue Sorten wie „Glyphosathonig“ und „Nitrathonig“.

Die Demonstrant*innen haben sich über die Verallgemeinerung geärgert, das erklärten Sie dem Chefredakteur, und darüber berichtete die Zeitung noch am selben Tag online sowie auch in ihrer gedruckten Donnerstagsausgabe. „Die Karikatur lege nahe, dass Bauern die Natur (…) bewusst mit Nitrat, Glyphosat und Gülle vergiften würden“, heißt es in dem Bericht, in dem auch weitere Stimmen von Landwirtinnen und Landwirten zitiert werden. So weit, so fair.

„Protest gegen Karikatur“

Doch die Überschrift „Bauern-Protest gegen Karikatur“ hat einen ganz bestimmten Zungenschlag. Wer fühlte sich nicht an Krawalle, Verwüstungen und Anschläge erinnert, die im Namen des Glaubens gegen Mohammed-Karikaturen verübt wurden? Karikaturen, die 2005 in der dänischen Jyllands-Posten erschienen und 2015 in der französischen Charlie Hebdo? Wer nicht von sich aus daran denkt, tippe einmal die Worte „Protest gegen Karikatur“ in eine Internetsuchmaschine ein!

Landwirte mit Parolen wie "Keine Zukunft ohne Bauern"Nun kann man LN-Chefredakteur Goetsch natürlich nicht widersprechen, wenn er Meinungsfreiheit und das Recht auf die Veröffentlichung von Karikaturen verteidigt, auch wenn sie kränken. Und ebenso ist es korrekt, dass die LN ausführlich über die Bauernproteste in Berlin berichteten. By the way: Eine Redaktion müsste nicht ganz bei Trost sein, wenn sie sich eine solche Story entgehen ließe: Menschen, die verzweifelt genug sind, zehn Stunden und länger auf Landstraßen durch die bitterkalte Nacht zu fahren, in der Hoffnung, mit ihrem Protest endlich gehört zu werden…

Es ist  auch nicht von der Hand zu weisen, dass es Umweltprobleme durch Nitrat & Co. gibt. Allein, man sucht – auch in den LN – vergeblich nach Differenzierung! Es sind eben nicht alle Landwirte über einen Kamm zu scheren. Und die Demonstrant*innen haben vollkommen Recht, wenn sie sich falsch dargestellt und gemobbt fühlen. Denn die meisten Deutschen sind der Lebensmittelproduktion völlig entfremdet, maßen sich aber dennoch ein Urteil an. Das ist der Skandal! Ein Bericht über „Kuhkuscheln“ und „Relaxen mit Rindern“ (in den LN erschienen am 26. November) trägt sicher nicht zur Aufklärung bei.

Vielmehr und viel mehr sollte in allen Medien über existenzielle Themen berichtet werden, zum Beispiel über die Facetten der Feststellung „Keine Zukunft ohne Bauern“!


Die Bilder zeigen Landwirte am 26.11. auf dem Weg zur Berliner Siegessäule. Fotos: Lars Thielsen

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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