Wer schreibt, kann etwas Neues schaffen. Mögen auch ähnliche Begebenheiten schon beschrieben worden sein, so weist doch die eigene Geschichte eine individuelle – mit Glück unverwechselbare – Erzählstimme auf. (Jedenfalls, wenn es sich nicht um ein Plagiat handelt.) Auch wer häkelt, strickt, stickt oder näht, kreiert etwas. Am Ende des Prozesses gibt es ein neues Produkt. Man sieht, was man getan hat. Und doch gibt es einige Unterschiede.
Strickt oder häkelt man etwas nach einer Anleitung, handelt es sich um eine legale Nachahmung, also nicht um ein Plagiat. Die Imitation des Originals ist sogar gewollt, z.B. wenn Wollproduzenten Anleitungen für ihre Produkte veröffentlichen. Außerdem erschafft man selbst dann Neues, wenn auch nicht unbedingt Eigenes. Aber das gefertigte Produkt ist etwas, das es vorher noch nicht gab. Eine neue Geschichte hingegen muss etwas Eigenes haben. Storys, bei denen erkennbar nur Personen oder Orte ausgetauscht sind, erfüllen diese Anforderung nicht.
Der zweite Unterschied: eine Handarbeit ist etwas zum Anfassen, oft sogar zum Benutzen im täglichen Gebrauch, ein Kleidungsstück, eine Tasche, eine Decke. Sie erfüllt also einen bestimmten, voraussagbaren Effekt. Man könnte von Texten sagen, auch sie dienten einem Zweck, etwa der Weiterbildung, der Unterhaltung, der Anregung zum Nachdenken. Doch es ist viel weniger vorhersehbar, wie der veröffentlichte Text tatsächlich genutzt wird, wie er verstanden wird, ob er (absichtlich oder nicht) missverstanden wird.
Wann ist das Werk wirklich fertig?
Der dritte Unterschied sind die Produktionsschritte. Für eine Handarbeit besorgt man die Materialien – Wolle, Stoff, Sticktwist – sowie evtl. fehlende Nadeln und legt los. Wann das Werk fertig ist, hängt allein von einem selbst ab. Beim Text hingegen stellt sich die Frage, wie er veröffentlicht werden soll. Soll er als Buch in einem Verlag erscheinen, dauert es von der eingereichten Fassung über Lektorat, Produktion, Marketing und Vertrieb eine ganze Weile, bis das Produkt fertig ist.
Doch Letzteres spielt für den Drang, etwas Neues schaffen zu wollen, keine Rolle. Das Gefühl, etwas vorher nicht Dagewesenes hervorzubringen, ist enorm befriedigend. Das gilt sowohl fürs Handarbeiten als auch fürs Schreiben. Das zeigen Hashtags wie #wollsüchtig, #häkelnmachtglücklich, #strickenistmeinyoga oder #schreibenschreibenschreiben. Dafür nimmt man selbst quälende Phasen in Kauf.