Die Ehrfurcht der Künstlerin vor der Natur

„Der Gesang ist leise, leicht überhört man ihn …“. So beginnt im Film die Erzählerin, den unbekannten kleinen Gesellen mit den großen, dunklen Augen zu beschreiben. Man sieht eine idyllische Bachlandschaft, gesäumt von wiegenden Laub- und Nadelholzzweigen – hier wäre er zu Hause. Wäre.

Doch der Kiesbankgrashüpfer, um den es in dem Film geht, lässt sich nicht blicken. Kann er auch nicht, denn seine Art ist so gut wie ausgestorben, steht auf der Roten Liste, Kategorie 1, und das bedeutet: Ein Überleben im Bezugsraum kann nur durch sofortige Beseitigung der Ursachen oder wirksame Schutz- und Hilfsmaßnahmen für die Restbestände dieser Arten gesichert werden.

Die Künstlerin Clara S. Rueprich, Stipendiatin der GEDOK Schleswig-Holstein, thematisiert in ihren aktuellen Arbeiten das sechste große Massensterben der Tiere. „Abwesen“ nennt sie das Projekt. In ihren Filmen zeigt sie den Lebensraum der bedrohten Arten. Wind, der Zweige wiegt, ist zu hören, rauschendes Wasser, Vogelgezwitscher. Doch kein Tier ist zu sehen. Die Abwesenheit wird nach einiger Zeit schmerzlich spürbar, erst recht, da das fehlende Wesen auf sensible, poetisch anmutende Weise von der Erzählerin portraitiert wird.

Achtung und Sensibilität kennzeichnen ihre Arbeiten

Ein Bild von Clara Rueprich in der Natur

Ausschnitt aus dem Katalog

Rueprich, u.a. Absolventin des Chelsea College of Art and Design und diplomierte Landschaftsarchitektin, befasst sich schon immer mit dem Verhältnis der Menschen zur Natur. Sie hat (Video-) Installationen zum Thema Natur im urbanen Raum geschaffen, wobei ihr große Sensibilität bescheinigt wird. Jan Kuhlbrodt schreibt im Katalog zu ihren Arbeiten im Öffentlichen Raum: „Dabei tritt sie den Matierialien, die sie benutzt, mit Achtung, fast mit religiöser Ehrfurcht entgegen (…). Oberflächen werden nicht bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet, behalten das Signum ihrer Herkunft (…), entwickeln ihre je eigene Schönheit.“

Dieses Feingefühl, diese Achtung sind auch in den aktuellen Filmen spürbar. Rueprich sagt: „Ich richte meinen Blick auf Tiere, die keine Chance haben, mediale Stars zu werden.“ Damit meint sie zum Beispiel Würfelnatter, Rotbauchunke, Großen Kolbenwasserkäfer.

Oder eben den Kiesbankgrashüpfer. Über ihn erfährt man: „Die Flügel sind kurz und dienen ihm als Instrument, das er mit den Beinen zum ‚Singen‘ bringt. Nur ganz selten entwickelt sich ein Tier, das fliegen kann, das es über die dichte Vegetation oder fließendes Wasser hinweg in neue Gebiete schafft.“

Die Schlussfolgerungen muss jede*r selbst ziehen.


Bilder: Clara S. Rueprich (Copyright)

Katalog:
clara s. rueprich
Installationen / Arbeiten im Öffentlichen Raum 1999 – 2003
Vice Versa Verlag, Berlin 2003
ISBN 3-932809-41-6

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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