Annelies Kamens Arbeiten sind auch ohne Worte beredt. Das heißt nicht, dass sie ihren Werken keine Titel gäbe. Doch es ist nicht der Wortwitz, auf den sie es anlegt. Auf den Witz allerdings schon. Und das mit Erfolg!
Etwa in dem Video, in dem sie Gartenstühle knarrend zusammenklappt…
Zum Schluss nimmt sie sich das Objekt auf der Picknickdecke vor, faltet es sorgfältig in eine handliche Form. Es knarrt ebenfalls erheblich. Das Objekt ist ein Mann.
Auch das Foto, auf dem sie ein bekanntes Bild von Picasso nachahmt, spricht für sich. Doch es zeigt auch ein Thema, für das sich Kamen überaus interessiert: feministische Perspektiven (in) der Kunst.
Annelies Kamen, Jahrgang 1988 und seit sechs Jahren Wahl-Berlinerin, verdankt ihren Namen der niederländischen Mutter. Aufgewachsen ist sie in den Vereinigten Staaten, wo sie auch studiert hat. In der Highschool hätte sie gern Holländisch gelernt, doch die Sprache wurde nicht angeboten, da hat sie sich kurzerhand für Deutsch entschieden. Pragmatismus scheint sie auszuzeichnen: sie fackelt nicht lange. (Wenn ich das nach unserem kurzen Kennenlernen sagen darf.)
Stipendium in Lübeck
Und so zögerte sie nicht, sich bei der GEDOK, der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer, um ein Stipendium in Lübeck zu bewerben, nachdem eine Freundin ihr den Tipp gegeben hatte. „Sie sagte, es lohnt sich. Sie hatte Recht.“
Der zweimonatige Aufenthalt in Lübeck war Kamens erste Residenz in Deutschland; zuvor hatte sie sich bereits Aufenthalte im mexikanischen Puebla und in Venedig erarbeitet.
Während ihrer Zeit in den zentral gelegenen Räumlichkeiten auf der Lübecker Altstadtinsel hatte sie wegen des Corona-Lockdowns wenig Gelegenheit, das typische Leben in dieser Stadt kennenzulernen. „Dafür hatte ich mehr Zeit für meine Recherchen“, sagte sie und lacht.
Bei ihrem neuen Projekt geht es darum, sich fallen zu lassen, und zwar sowohl im übertragenen wie im Wortsinn. Annelies Kamen übt, sich bei Stürzen abzurollen – und dabei tollpatschig-lustig auszusehen. „Ich werde einen Slapstick-Film drehen“, kündigt sie an. Das Besondere dabei: sie wird ihre Mutter am Projekt beteiligen. „Die muss wegen ihrer Osteoporose auch gerade das Abrollen lernen. Als sich das hörte, wusste ich: wir üben miteinander.“
Bei diesem besonderen Vorhaben geht es gleich in mehrerlei Hinsicht um Frauenrollen, nämlich zum einen um die Auseinandersetzung mit dem Rollenverständnis der jeweils anderen Generation. Zum anderen untersucht Kamen, wie unterschiedlich männliche und weibliche Komiker*innen mit dem Körper arbeiten. Den Pratfall – zu deutsch etwa: Plumps – kennt man vor allem von männlichen Darstellern, etwa von Charlie Chaplin oder Laurel & Hardy.
Vielseitige Künstlerin
Annelies Kamen ist eine vielseitige Künstlerin. Spezialisiert hatte sie sich zunächst auf Druckgrafik, doch dann begann sie den Reiz von Fotos, Installationen und Videoarbeiten zu entdecken. So begann sie damit, alle weiblichen Showeinlagen aus dem Comic-Magazin MAD zu vertonen. (Daraus stammt die Sequenz mit dem zusammengeklappten Mann.)
Für die diesjährige Ausstellung über die Kultur des Bades in Baden-Baden nahm sie sich Handtücher vor. Daraus faltete sie nicht nur den „Trump Towel“, sondern auch „Colin Towell“, der dem früheren US-Außenminister Colin Powell verblüffend ähnlich sieht. In einer Installation setzte sie ein Bonmot von Marcel Duchamp um und schuf einen Wasserhahn, der nur tropft, wenn ein Mensch im Raum ist. Dazu verband sie eine Wasserpumpe mit einem Infrarotsensor, der auf Wärme reagiert und menschliche Anwesenheit deshalb nicht nur an Bewegung festmacht. Der Wassertank befindet sich im Inneren des Waschbeckens.
Einen Querschnitt ihrer Arbeiten hat Annelies Kamen auf ihrer Webpräsenz zusammengestellt.
Sie begnügt sich nicht damit, Menschen zum Lächeln oder Lachen zu bringen, sondern sie interessiert sich auch für die theoretische Seite dieses Tuns, etwa für die Frage: Wieviel Macht muss man besitzen, um sie für einen Witz auf eigene Kosten abgeben zu können? Wo muss die Künstlerin, der Künstler sich auf Augenhöhe mit dem Publikum bewegen?
Und dann geht es ihr um eine noch viel grundsätzlichere Frage: Wer ist das Publikum? Wen spricht ein Witz an, wer versteht ihn? Kamen ist überzeugt davon, dass Wortwitze (zu) viele Menschen ausschließen. „Witze ohne Worte sind aber anspruchsvoller herzustellen“, lautet ihre Erfahrung. Doch genau das strebt sie an: „Ich möchte etwas schaffen, das in der Materialität etwas ausdrückt, was Sprache nicht leisten kann.“
Doch – muss man zugeben, oder? – die „Insane Elk Mane“ hat auch etwas…
Bildvermerke
- Self Portrait as a Joke
archival inkjet print
2017
image courtesy Annelies Kamen, photo credit George Dimitrov - Picasso and the Afghan Hound
digital print and wax crayon on paper
2018
image courtesy Annelies Kamen - A faucet which stops dripping when nobody is listening to it
particle board, stainless steel, digital print on fabric, IP camera, microcontroller, pump, presence or absence of a listener
2018
image courtesy Annelies Kamen, photo credit Sebastian Eggler - siehe 3.
- Colin Towell
polystyrene, cotton towels
2020
image courtesy Annelies Kamen