Das meisterhafte Verschwinden der Agatha Christie

Frauenbeine vorm Kamin

Blackout? Burnout? Blowout? Was passierte 1926 mit Agatha Christie?

Man sagt, es habe diverse Nutzen, sich schreibender Weise mit Kriminalfällen zu befassen. Über einen Vorzug soll anlässlich des Todestages von Agatha Christie (12. Januar 1976) spekuliert werden.

Nehmen wir versuchsweise an, eine fantasievolle Schriftstellerin habe etwas still und heimlich zu erledigen. Vielleicht hat sie im jugendlichen Überschwang einem Menschen bitter unrecht getan und möchte sich endlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschuldigen? Vielleicht plant sie, einen Beamten zu bestechen, damit er die Baugenehmigung fürs Traumhaus im Naturschutzgebiet erteilt? Oder braucht sie so dringend Geld, dass sie unauffällig Arsen für den Erbonkel zu besorgen hat?

Varianten des Abtauchens

Krimiautor/innen verdienen ihr täglich Brot damit, immer wieder neue Arten des Ab- und Untertauchens zu ersinnen. Für sie sollte es also ein Leichtes sein, bei Bedarf selbst auf die eine oder andere Variante zurückzugreifen. Erst recht für eine Meisterin wie Agatha Christie!

Gedacht, getan?

Angeblich steht bis heute nicht fest, wie ihr mehrtägiges Verschwinden im Jahr 1926 genau ablief. Selbst ihr Urenkel und Nachlassverwalter James Prichard kann nur spekulieren.

Fest steht, dass die Autorin am Abend des 3. Dezember, nachdem sie ihre Tochter Rosalind zu Bett gebracht hatte, in ihr Morris-Cowley-Coupé stieg und losfuhr. Den Wagen fand man am nächsten Morgen verlassen in der Nähe des Ausflugsziels Silent Pool in der Grafschaft Berkshire südwestlich von London – und befürchtete das Schlimmste. Mehrere tausend Menschen bildeten Suchtrupps, um die Leiche der Schriftstellerin zu finden.

Frappierende Ähnlichkeit

Elf Tage später und 230 Meilen weiter nördlich: In einem Hotel in Harrogate in Yorkshire fällt einem Musiker die frappierende Ähnlichkeit eines Gastes mit dem auf Plakaten veröffentlichten Portrait der Vermissten auf. Der Name, mit dem die Dame sich angemeldet hatte, war ein Anagramm des Namens der Geliebten von Archibald Christie – Agathas (Noch-) Ehemann. Den anderen Hotelgästen hatte sie erzählt, sie komme aus Südafrika und habe kürzlich ihr Kind verloren.

War sie überarbeitet und litt, wie man heute sagen würde, am Burnout-Syndrom? Oder wollte sie sich einfach an ihrem untreuen Ehemann rächen und ihm eine Reise mit der Geliebten gründlich vermiesen? Agatha Christie behauptete für den Rest ihres Lebens, sie könne sich an die näheren Umstände ihres Verschwindens nicht erinnern.

Für ihre Karriere als Schriftstellerin war die Episode ein Glücksfall: jetzt war sie richtig berühmt.
Genial, die Frau!


Foto: Thomas Schmitt-Schech

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.