Zauberhafte Überraschung im Schulgarten

Überraschung im Schulgarten: ein Piano zwischen BlumenEin freier Vormittag, schönstes Spätsommerwetter, ein gutes Buch liegt zum Lesen bereit – da fällt die Entscheidung nicht schwer. Ich radele zum Schulgarten, Lübecks Botanischem Garten, um mich gemütlich auf einer Bank niederzulassen. Ich schlendere vorbei an Sonnenhut, Rizinus und Kapuzinerkresse am Rankgerüst und genieße die warmen Sonnenstrahlen. Eine Statue trägt heute Basecap; ich muss lachen. Doch was ist das? Nur wenige Schritte weiter wartet die Überraschung im Schulgarten!Ein Rizinus am WegesrandEin schwarzer, blankgeputzter Flügel steht einsam und verlassen auf einer Wegkreuzung. Ich frage mich: Ist das eine Kunstaktion? Versteckte Kamera? Einladung zum Selfie-Knipsen mit anschließendem Posten bei Instagram? Doch unter welchem Hashtag?

Eine Statue mit blauer BasecapWährend ich darüber nachdenke, wie ich am besten die Antwort ermittle, fällt mein Blick auf eine Holzbank im Senkgarten: Da sitzt ein junger Mann. »Wissen Sie, was hier los ist?«, frage ich ihn. Er sieht mich an. »Ist das nicht selbsterklärend?«

Wird also ein Konzert stattfinden? Hier, unter freiem Himmel? Er nickt. »Sind Sie etwa der Pianist?« Er nickt, lächelnd, und verrät mir die Uhrzeit: um zehn. Was für ein Glück, denn ich habe Zeit bis viertel vor elf!

Ein Rankgerüst in Tipi-FormNatürlich bin ich jetzt viel zu aufgeregt zum Lesen. Ich spaziere stattdessen noch ein wenig durch den Garten und bewundere lustige Vogelscheuchen, den lauschigen Pavillon mit Leihbüchern, die bunten Farben der Blüten und höre zwei Frauen beim Herumalbern zu.

Der Freiluftpianist

Was ich außerdem noch höre, lässt mich um das Konzerterlebnis fürchten: Baulärm beginnt. An einem der umliegenden Häuser findet offenbar eine aufwändige Sanierung statt, jedenfalls kreischt eine Säge und wummert ein Bohrer.

Überraschung im Schulgarten: Ein Pianist gibt ein KonzertKurz vor zehn, ich kehre in den Senkgarten zurück. Der geheimnisvolle Pianist spricht gerade mit einer anderen Besucherin, und beim Zuhören erfahre ich, dass er sein Instrument am Vorabend in den Garten geschafft und über Nacht sorgsam abgedeckt dort hat stehen lassen. Er mache so etwas öfter, sagt er.

Ich werfe ein, dass ich nirgends ein Plakat oder eine andere Ankündigung gesehen hätte, und da sagt er: »Das ist Absicht, denn dies soll ein Konzert für zufällige Besucher sein.« Überraschung im Schulgarten … Immerhin hat er Visitenkarten ausgelegt, sodass ich nun den Namen kenne: Daniel Fritzen.

Er beginnt zu spielen – und der Baulärm hat keine Chance. Es ist ein zauberhaftes Erlebnis: Romantische Musik, Chopin, wie Fritzen später erläutert, Motive aus drei unterschiedlichen Volkstänzen, die dem Komponisten im Pariser Exil Trost gespendet haben. Ich vergesse die Zeit.

Auch die anderen Zuhörerinnen sind angerührt, denn wir alle erleben gerade eine Szene wie aus dem Märchen.


Fotos: Karla Letterman

 

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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