Wenn ich mir mein Publikum stricken könnte …

Lange Stricknacht im KreativHotelBWenn ich mir mein Publikum basteln, backen oder stricken könnte – dann wäre es genauso wie meine Zuhörerinnen während der Langen Stricknacht im KreativHotelB! Das bedeutet: Aufgeschlossene, aufmerksame, wertschätzende und höfliche Menschen, die zuhören können. Was für ein Erlebnis!

Natürlich ist auch eine Plauderrunde etwas Nettes, und der Austausch kam bei dieser Stricknacht keinesfalls zu kurz. Aber alle verhielten sich gemäß dem Grundsatz: Alles zu seiner Zeit.

Ich habe es lange nicht mehr erlebt, dass einem oder einer Vortragenden die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft zuteil wurde, doch genau das durfte ich am 26. April erleben. Hotelchefin Ariane hatte eine Stricknacht mit Lesung organisiert, während der ich meinen neuen Handarbeitskrimi „Grausames Garn“ vorstellte.

Karla Letterman liest bei der Langen StricknachtDas Thema Handarbeiten passte natürlich bestens, denn die Zuhörerinnen waren sämtlich versierte Strickerinnen oder Häkelnde. Aber ich glaube, das Entscheidende war, dass sie genau das während meines Vortrags auch taten!

Eine Lesung mit akkurat platzierten Stuhlreihen erinnert zuweilen an Frontalunterricht – ein meines Erachtens überkommenes Format. Eine Lesung mit Café- oder Restaurantbetrieb ist andererseits viel zu unruhig, weil immer irgendwo Geschirr klirrt und Kaffee überschwappt. In beiden Fällen schwindet irgendwann die Aufmerksamkeit des Publikums; Einzelne beginnen ihren Unmut kundzutun – ein Ärgernis sowohl für die anderen Zuhörer:innen als auch für die Lesenden!

Wirklich zuhören bedeutet, sich zurückzunehmen

Allzu oft erlebt man Zeitgenoss:innen, die anderen nur scheinbar zuhören – nämlich genau so lange, bis sie ein Stichwort finden, um ihre eigene Story anzubringen. Wirklich zuhören dagegen bedeutet, sich auf die Sichtweise des Gegenübers einzulassen, sich für den Moment in ihn oder sie hineinzuversetzen. Das bedeutet noch lange keine Zustimmung, aber es bedeutet, sich für den Augenblick zurückzunehmen und jemand anderem das Wort – und die Aufmerksamkeit – zu überlassen.

Ich selbst habe in meinen letzten Schuljahren viel im Unterricht gestrickt. Das wirkte sich zwar negativ auf die mündlichen Noten aus, aber positiv auf das, was ich mitbekam. Wer nicht handarbeitet, kann das meist nicht nachvollziehen: Beim Stricken kann man sich hervorragend auf Vorträge, Lesungen oder Radio- und Fernsehsendungen konzentrieren! (Ausnahme: Man beginnt mit einem komplizierten neuen Muster …)

Allein deshalb sollten alle Menschen stricken oder häkeln lernen! 🙂


Fotos: Ariane Bott

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.