Recherche mit Argusaugen

ein geschnitztes GesichtIch ging auf Recherchetour am Brodtner Ufer bei Travemünde. Auf welchem Abschnitt dieser weitläufigen Steilküste stürzt jemand am plausibelsten ins Jenseits? Schließlich will ich keine Krimihandlung an unwahrscheinlichen Orten stattfinden lassen, geschweige denn an Orten, die ich nicht kenne.

Ich war schon ein Weilchen in Richtung Niendorf unterwegs, hatte die belebten Strandabschnitte – Hunde- und FKK-Strand – deutlich hinter mir gelassen, da fühlte ich mich beobachtet. Allerdings hörte ich weder ein Knacken noch Rufe nach Waldi, sodass ich Spaziergänger und Haustiere ausschloss. Kein Angler war im Wasser zugange. Ich fröstelte etwas.

Kunst am Steilhang

Da! Links vor mir leuchtete etwas zwischen Steinen und Totholz, ich ging näher ran. Ein Auge! Gepinselt auf einen Geröllklumpen. Großartig, redete ich mir zu, eine Kunstausstellung am einsamen Ufer!

Ein gemaltes KrokodilWeil ich etwas Zeit verloren hatte, legte ich einen Schritt zu. Da lachte jemand. Laut und deutlich! Jemand? Etwas? Es wird wohl das Keckern einer Elster gewesen sein, beruhigte ich mich. Ach herrje, die sind hier gar nicht unterwegs. Ob Möwen auch lachen? Sie schreien eher, überlegte ich – und prompt hörte ich lautes Kreischen. O – das war ich selbst, ich hatte mich vor einem Krokodil verjagt. Mensch, ein verzierter Baumstamm!, schalt ich mich. Kein Grund zur Aufregung.

Ein paar Schritte weiter war ich besser gewappnet, denn da sah ich das Werk schon von Weitem. Es blitzte mich regelrecht an, ach was, es blinzelte mir freundlich zu: ein gelbes Gesicht, einem toten Ast auf die Schnittkante gepresst.

Naja, freundlich mag man es auch finden, doch mich blickte es zu diesem Zeitpunkt deutlich höhnisch an. Es war an einer etwas unübersichtlichen Ecke geschickt platziert, stellte ich fest.

Krach! Das war ganz klar das Brechen von Zweigen, so dicht… und da stand er: ein dunkel gewandeter Riese, dessen Lachen deutlich höhnischer war als das des Gelbgesichts. „Na, wohl schreckhaft, junge Frau?“, fragte er überflüssiger Weise. Ich hatte mein Handy fallen lassen.

„Wa… wa-was sind denn das für Kunstwerke hier?“, erkundigte ich mich, während die Zahnräder in meinem Hirn heißliefen. Sie drehten sich um die Frage, wie ich mein Handy zurückgewann ohne Bücken. Ich würde es mir wie einen Ball hochschießen müssen, doch was, wenn der unheimliche Mann zuerst zugriff?!

Er lachte gehässig. „Kunst soll das sein? Kannste alles mitnehmen, ist doch nur Pfusch. Na los, räum schon ab, was du willst.“

Diesmal hatte ich nichts nahen hören, doch nun stand eine verzottelte Frau neben ihm. „Lauf nich so schnell, ich komm kaum hinterher!“ Sie maß mich mit abschätzigem Blick: „Na, bist wohl fremd hier, wa? Coole Ecke, oder?“ – „Ja, voll krass hier. Kriminell gut.“ Erst während ich mich das sagen hörte, wurde mir klar: Ich hatte gefunden, was ich suchte.

Die zwei zogen ab, ich war wieder allein mit der Freiluftkunst. Wenn ich nichts dagegen tat. Zum Glück wurde mir rechtzeitig klar, was mir lieber war: Handy geschnappt und den beiden hinterher!

Auf dem Rückweg blickte mir ein böse Echse nach. Doch sie war gefesselt an eine dicke Baumwurzel, weshalb ich ihr unbeschadet entkam.

Auf den Schreck schlürfte ich einen torfigen Ardbeg, als ich wieder unter Menschen weilte. Dabei fiel mir ein, was doppelt merkwürdig war.

Ich recherchiere für eine Detektivgeschichte, und mir folgen lauter Argusaugen. Dieses Travemünde, muss ich schon sagen, hat es in sich!


Fotos: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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