Parolen zum Johlen

Als an sich selbst zweifelnder Heranwachsender wird man damit getröstet, wie einzigartig man sei. Und dann das wahre Leben: In der Masse Mensch, mit der du täglich zu tun hast, erkennst du dich selbst kaum wieder.

Klar, dass viele versuchen, sich aus der Menge hervorzuheben. Da lesen wir „Abi 2018“ auf der Heckscheibe eines gar nicht mal so kleinen Autos. Was sagt uns das? Erstens: Jemand ist stolz wie Oscar auf einen Schulabschluss, den die Hälfte der deutschen Jugendlichen geschafft hat. Zweitens: Die Eltern sind so überrascht und gerührt von der Leistung ihres Nachwuchses, dass sie als Belohnung tief in die Tasche greifen und ein rollendes Statussymbol beisteuern. Nun steht dem Erfolg nichts mehr im Wege… dazu unten mehr.

Brav oder verwegen?

„Abi 2018“ klingt nun, selbst wenn man eine verwegene Schriftart wählt, immer noch nach bravem Pennälertum. Wieviel cooler ist es doch, unerschrocken durch knöcheltiefen Matsch zu waten oder in der Dürre der norddeutschen Wüste zu dürsten! Sei es auch nur, um schwarz gewandete Blechtrommler zu bestaunen, die erfolgreich geübt haben, gefährlich in die Gegend zu glotzen. Ein bisschen Abenteuer bleibt, so die Hoffnung, auch an der Aura des letzten Zuschauers kleben. Diese Hoffnung wird ebenfalls auf der Autoscheibe fixiert: „WOA“ kündet von Erfahrung in Wacken, die man mit 75.000 anderen Fans geteilt hat.

Auch T-Shirts müssen zum Prahlen herhalten, mal mit Hilfe eines Designerlogos, mal durch Aufdrucke wie „Zicke“ oder „Ich bin Schuld“, die Selbstreflexion, wenn nicht gar Selbstironie nahelegen, dem Betrachter aber immerhin die Wahl lassen, die Aussage auch wörtlich zu nehmen.

Doof oder verzweifelt?

Doch zurück zum Auto. Neulich habe ich eine Aufschrift gelesen, die ich mir nur mit galoppierender Dummheit oder überschäumender Verzweiflung erklären kann (siehe Foto). Letzteres annehmend, mutmaße ich Folgendes über den Werdegang des Spruchkaspers. Stolz wie Oscar auf „Abi ’98“, quält sich der Mensch durchs öde BWL-Studium und versucht mit Krokodillogos auf dem Polohemd aufzufallen. Da das in der Umgebung naturgemäß scheitert, kauft er sich robuste Boots und schleppt sie durch Wackener Matsch. Eigentlich jedoch lechzt er nach Anerkennung für den Posten im mittleren Management, das nette Reihenhaus, die immer noch ungeschiedene Ehe und all die anderen Langweiligkeiten, für die er (sie?) sich so abgestrampelt hat. Doch nicht mal ein Sterne-Auto reicht heutzutage zur Abgrenzung. Dabei gehört man doch als Führungskraft zur Elite – Moment mal: führen, führen… war da nicht was? Und endlich ist der Spruch geboren!

Was manchen Menschen für immer verborgen bleiben wird: Selbst Besitzern der klapprigsten Karre ist es möglich, an einem rausgeputzten Sterne-Auto johlend vorbeizuziehen.


Foto: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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