Die Faszination alter Technik

Bahnhof Gittelde im Südharz

Bahnhof und Stellwerk Gittelde

Immer wenn ich mit der Bahn durch Gittelde fahre, wünsche ich mir, einen Blick in das Bahnstellwerk auf die alte Technik werfen zu können.

Noch erfolgt nämlich die Stellung von Fahrwegelementen, Weichen, Gleissperren und Signalen mechanisch. Noch ist das Stellwerk in dem kleinen Ort am Harzrand bemannt. Noch kurbelt der Fahrdienstleiter die Schranken an den Bahnübergängen händisch nach unten und zurück nach oben.

Züge nach Braunschweig und Herzberg

Züge nach Braunschweig & Herzberg

Seit Jahren weiß ich, dass die Anlage modernisiert und auf digitale Steuerung umgestellt werden soll.

In Gittelde begegnen sich die Züge auf der Strecke Braunschweig – Herzberg im Harz. Sitze ich im Zug Richtung Herzberg, sehe ich hinter den Fensterscheiben des Bahnhofsgebäudes Schemen und Schatten, die sich eifrig bewegen.

Doch nie reicht die Zeit, um auszusteigen und neugierig die Nase an der Scheibe plattzudrücken. Was machen die da genau?

Alte Technik ist so bodenständig-solide

Alte Technik am Bahnhof Gittelde

Die sog. „Umleitung“ in Gittelde

Warum will ich das eigentlich sehen? Zum einen, weil Schemen und Schatten geheimnisvoll wirken und Geheimnisse nun mal dazu da sind, gelüftet zu werden. Zum anderen, weil mich beim Anblick alter Technik ein Schauer des Grundsoliden erfasst.

Ist es nicht wunderbar, die Funktion von Zahnrädern im Wortsinn be-greifen zu können? Strahlt das Mahlen eines Mühlrades nicht eine beruhigende Stetigkeit aus? Ist es nicht schön, mit einem herkömmlichen Schlüssel ganz mechanisch ein Schloss bewegen zu können? Das funktioniert garantiert auch noch in der gruseligen Situation eines kompletten Stromausfalls. Vielleicht sind das rein nostalgische Anwandlungen – aber alte Technik hat für mich in Zeiten rasant fortschreitender Digitalisierung etwas vertrauenerweckend Solides.

Stellwerk Gittelde

Blick ins Stellwerk im Bahnhofsgebäude

In Gittelde hatte ich neulich – an einem heißen Augusttag – Glück. Ich war am Bahnhof verabredet, hatte noch etwas Zeit und konnte um das Gebäude umrunden. Wegen der Hitze stand ein Fenster offen, und zwar genau das mit den Schemen.

Da! Hebel, Rädchen, Stellschrauben! Mir liefen die Augen über. Ich konnte zusehen, wie der Fahrdienstleiter daran zog, schob und kräckelte. Handwerk, wie solide!

Die Umlenkung wurde 2011 erneuert, wie mir der Diensthabende erklärte. Und dann zeigte er mir sogar noch, wo die Stränge für die Weichen entlanglaufen. Ich habe es fast ein bisschen bedauert, als ich dann abgeholt wurde…


Fotos: Karla Letterman

 

 

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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