Als Thomas am vorigen Mittwoch nach Hause kam, biss ich gerade herzhaft ins blassrote Gymnastikband. Ich konnte es noch schnell beiseite legen, bevor er das sah, und eine Unschuldsmiene aufsetzen. „Na, Schatz, heute schon so früh zurück?“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Machst du etwa schon wieder was für diese Challenge?!“
Woher wusste er das bloß?
Als mein Blick in den Spiegel fiel, den ich mir zehn Minuten vorher zurechtgestellt hatte, war klar, wieso er Verdacht geschöpft hatte. Ich hatte noch diese Schneeflocken-Ohren auf dem Kopf! Denn ich verfolgte einen Plan: Ich wollte ein besonders originelles Foto zum Thema Fitness schießen. Fitness war das Tagesthema der Instagram-30-Day-Challenge.
Jeden Tag ein Motto
Doch, doch, ich verstehe, dass man es eigenartig finden kann, einen Monat lang jeden Tag nach einem vorgegebenen Motto, das man kurzfristig erfährt, ein Bild aufzunehmen und einzustellen. Ist es auch. Denn es gibt Themen wie „black & white“, „Hotel“, „Textur“ und „vegan“.
Und es gibt Vorgaben. Beim Motto Hotel soll es eine Lobby sein. Bei Sunset bitteschön eine Szene mit Wolken und Menschen in Vordergrund. Und bei Fitness? Da soll man zeigen, was man für ebendiese tut und zwar „in einem coolen Outfit“!
Jetzt schlägt’s dreizehn!, dachte ich mir, ich bin doch kein Model! Also fasste ich den Entschluss, diese Vorgaben auf die Schippe zu nehmen. Und das war mein Plan: Ich hänge mir eine Medaille um (gewonnen bei einem Spaß-Chorwettbewerb), setze die farblich dazu passenden Schneeflocken-Ohren auf den Kopf und mache irgendwas Schwachsinniges mit dem Gymnastikband.
Beim Tagesthema vegan war ich wie eine Luchsin um den Herd geschlichen, auf dem die Pfanne mit den Zwiebel-Zucchini-Bratkartoffeln brutzelte, um den richtigen Moment abzupassen, was nicht einfach war.
Dünner Kaffee und kleine Lobbys
Als ich in diverse Hotellobbys spähte, fiel mir zweierlei auf. Zum einen musterten mich die jeweiligen Gäste misstrauisch, als sie mein gezücktes Smartphone bemerkten. Zum anderen: Meine Güte, wie viele klitzekleine Hotellobbys gibt es in dieser Stadt!
Bei der Zusammenstellung meiner Schwarz-Weiß-Zutaten kam ich nicht um die Erkenntnis herum, wie dünn der Kaffee ist, den ich üblicherweise koche. Der verdient ja den Namen gar nicht – geschweige denn einen Platz auf dem Bild für die Challenge! Im Nachhinein war mir die Bewirtung der Kaffeegäste wenige Tage zuvor ein wenig peinlich.
Auch wenn ich fast wahnsinnig geworden wäre: Ich werde diese Instagram-Challenge morgen stolz beenden. Außerdem werde ich sie weiterempfehlen. Denn ich habe tatsächlich etwas gelernt: Achtsamkeit.
Es hat mir ganz bestimmt nicht geschadet, mit offenen Augen spazieren zu gehen und nach interessanten Oberflächen für das Textur-Foto Ausschau zu halten. Ich habe die Hotels dieser Stadt kritisch in Augenschein genommen und mehrere Sonnenuntergänge aufmerksam betrachtet.
Ich war viel draußen auf Motivsuche und habe die Zutaten diverser Gerichte auf dem Wochenmarkt besorgt. Nur für eines kann ich mich immer noch nicht begeistern, und das ist Gymnastik.
Fotos: Karla Letterman