Max Goldt live und in Farbe

Max Goldt in Lübeck. Foto: Thomas Schmitt-Schech

Max Goldt in Lübeck. Foto: Thomas Schmitt-Schech

Erwähnte ich bereits meine Verehrung für Max Goldt? Ach ja, natürlich, denn sie ist groß und beständig, seine Bücher und Kolumnen finde ich ungemein inspirierend.

Jetzt hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, diesen begnadeten Schriftsteller live zu erleben. Er las eigene Texte in den Lübecker Kammerspielen, und ich war dabei!

Aus Göttingen, seiner Heimatstadt, weiß ich, dass er als äußerst scheu gilt. Das fiel mir sofort wieder ein, als er die Bühne betrat: er sprach zu uns, seinem Publikum, sah uns aber nicht an. Der Fußboden, seine Notizen, das Wasserglas – sie alle schienen seiner Blicke würdig, nur die Menschen, die seinetwegen gekommen waren, nicht. Das war keine Ma­nie­riert­heit, auch keine Arroganz, der Mann wirkte schüchtern und – später beim Lesen – in sich versunken.

Zum Glück war seine Stimme kein bisschen unsicher. Im Gegenteil: sie machte was her wie die eines ausgebildeten Schauspielers, vielgestaltig, stolz und kräftig. Ein Genuss, Max Goldt zuzuhören!

Mein Mann sagt gern „Schrägizität“, wenn ihm „Schräges“ zu harmlos ist, er aber keines der Modewörter großartig oder geil verwenden will. Max Goldt möchte ich diesen Titel zukommen lassen: Seine Schrägizität. Der Mann hat derart viele derart abgeknallte Ideen, da können Punker und Dadaisten gleichermaßen neidisch werden.

Wie er von der vermissten Tasche über das verlorene Notizbuch zu der Behauptung kommt, John Lennon habe in den 1980ern Waffen für El Salvador spenden wollen, ist einfach – ist eben – äh: das kann nur er herleiten.

Schrille Ideen

Ein ganzer Kosmos ist voll mit Dingen, die nur Max Goldt erzählen kann. Wer sonst wäre in der Lage, den Etikettaufdruck einer Sauerkrautdose derart zu komponieren, dass man geneigt ist zu vergessen, was der Anklage bedarf: zu viel Information, deshalb so klein gedruckt, dass es kaum einer lesen kann. Aber wer möchte ernsthaft den Aufruf zu einem Gewinnspiel missen, bei dem ein Wellnesswochenende mit der Sauerkrautkönigin winkt?

Ich habe vielen außergewöhnlichen Ideen lauschen können bei dieser Lesung. Am liebsten waren mir die schrillen, die, bei denen ich dachte, da hat er wohl – mindestens – einen Krautschnaps zum Bündnisgenossen gehabt. Das Streitgespräch zwischen drei Sexualhistorikerinnen zum Beispiel, bei dem Theorien früher Dildos ins Kraut schießen – oder sollte ich sagen, aus dem Waldboden wachsen? Beim Gedanken an Tannenzapfen werden die Damen allerdings griesgrämig.

Sehr gut nachvollziehen konnte ich des Autors Wunsch, eine Empfehlung aus dem Konversationsratgeber von 1940 geschichtenbringend einzusetzen. Der Vorschlag an dem Willen nach formvollendete Herren lautete, beim Betreten eines Eisenbahnabteils die anwesende Dame zu fragen: „Gnädige Frau, hätten Sie vielleicht Interesse, etwas über die herrlichen deutschen Mittelgebirgswälder zu erfahren?“ In der Folge erfährt man im „Dialog zwischen hässlichen Leuten“ einiges über Wülste, ungepflegte Füße und Baumkuchenfiguren.

Max Goldt in Farbe: viele Schattierungen seiner Texte werden bei der Lesung sichtbar. Er selbst hingegen bleibt im Hintergrund. Das scheint ihm mehr zu entsprechen.

Ich durfte die Lesung übrigens rezensieren: https://www.unser-luebeck.de/magazin/literatur


Foto: Thomas Schmitt-Schech

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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