Komische Typen bei der komischen Mauer

Ein Teil der Teufelsmauer in Sachsen-Anhalt, Harz - eine komische Mauer!„Hä? Elbingerode? Liegt das nicht bei Hattorf?“, fragte Marvin, der jetzt auch die Ortsschilder scannte. „Es gibt zwei Elbingerodes“, behauptete Amadeus, aber Marvin warf mir einen Blick zu – wir wussten beide nicht so richtig, was wir glauben sollten. Auch die anderen wurden bisschen unruhig. „Ich verrate euch jetzt, wohin es geht“, sagte Leons Vater plötzlich. „Es ist das Gegenteil von Jastedt.“ Na toll! Wer kannte denn Jastedt. Oder hieß es Jahrstedt? Und wer wollte das überhaupt kennen?! Wenn Amadeus gedacht hatte, wir raten gleich los wie die Wilden und sind für den Rest der Fahrt beschäftigt und streiten uns immer ganz niedlich um die besten Rate-Ergebnisse, dann hatte er sich geschnitten. Wir hielten die Klappe und guckten mucksch auf unsere Schuhe. Dabei fiel mir auf, dass Bingo zwei verschiedene Socken anhatte, einen dunkelblauen und einen – tatsächlich: einen lila Socken! Er bemerkte mein Stirnrunzeln und schüttelte den Kopf. Ich verstand. „Bleichgesicht Lepür kann schweigen“, sagte ich, war aber schon gespannt auf später.

Ich dachte schon, diese Endlosfahrt wäre eine Art Test für uns, ein fieser Trick, ausgedacht vom Angeberpolizisten. Doch plötzlich sah ich ein Ortsschild, auf dem „Neinstedt“ stand. „Wir sind da!“ Ich jubelte richtig.

Amadeus scheuchte uns auf einen Wanderweg, an einem doofen Bach vorbei und dann bergauf. „Die Teufelsmauer!“ sagte er, als ein paar Steine in Sicht kamen. Er klang so stolz, als hätte er die Felsbrocken selbst aufgetürmt. Die Buddys und ich waren alle cool, wir sagten gar nichts. Die Erwachsenen sollen sehen, was sie davon haben, dass sie uns immer bestrafen, selbst wenn wir Omas retten wollen!

Beschwörung an der Teufelsmauer

Da kamen uns plötzlich vier komische Typen entgegen. Sie hatten alle schwarze Haare und waren schwarz geschminkt, die Augen ganz dick umrandet und die Nägel schwarz lackiert. Ich konnte bei zweien von denen nicht erkennen, ob es Mädchen oder Jungs waren. Sie waren älter als wir, aber noch nicht richtig erwachsen. Sie hatten fast nur schwarze Klamotten an, nur bei einem sah ich lange rot-braun geringelte Strümpfe, und ein anderer trug einen krass glitzernden Gürtel, silbrig, mit so Steinchen dran. Die Steinchen waren auch an seinem Rucksack, einem Riesending aus schwarzem Leder. Alle hatten lange, dicke Kerzen in der Hand. Der mit dem Rucksack trug auch noch eine kleine Puppe aus Stoff. Die war nicht dunkel, sondern hellrosa, sah ganz verloren aus zwischen dem ganzen Schwarz. Die Typen guckten uns gar nicht richtig an, aber ich war mir trotzdem sicher, dass ihre Blicke gefährlich waren. Wenn Blicke töten könnten… sagt Larissa manchmal.

Keiner von uns sagte was, bis die weit weg waren. „Was machen die hier, Papa?“, wollte Leon wissen. Amadeus holte tief Luft. „Ich weiß es nicht genau, aber ich denke, die führen hier Rituale durch.“ – „Was’n das?“ – „Gibt verschiedene. Vielleicht beschwören sie was.“ – „Was denn, Papa?“ – „Ach, was weiß ich. Vielleicht dass morgen gutes Wetter wird oder so.“ – „Oder vielleicht… dass jemand stirbt?“ – „Was redest du für’n Quatsch! Sowas geht doch gar nicht!“
Aber das mit dem Wetter geht, oder was?! Amadeus hielt uns wohl für blöd. Also machten wir auf blöd. Wir ließen das mit dem Sprechen.

Sockenschuss

Auf dem Rückweg jagten mir feurige Gedanken durch den Kopf. Beschwörungen. Ob die bunte Oma sowas auch kann? Wie das wohl geht? Klar gibt es mehr als das, was man sieht oder anfassen kann. Sagt sogar Bingos Pfarrer. Gibt auch mehr als man manchmal begreifen kann. Sagt unsere Lehrerin Frau Heitermann. (Die wundert sich bestimmt auch über ihren Vater, den alten Heinrich!)

Bingo hatte sich zurückfallen lassen und lief neben mir. Darauf hatte ich gewartet! Ich blieb aber still, um ihn nicht zu verschrecken. „Habe mit Sophie einen Socken getauscht“, flüsterte er plötzlich. „Sie hat gesagt, das verbindet uns über jede Entfernung!“ – „Hast du ’n Sockenschuss, oder was?“, fragte ich. Bingo wurde wieder rot. „Ey, Lepür, das war doch nur’n Witz!“ Aber ich selbst wurde nachdenklich. War das mit dem Sockentausch nicht auch ’ne Beschwörung, irgendwie?

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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