Rhetorik zum Tag der Einheit

RichtungspfeileEs ist ein alter rhetorischer Trick. Man antwortet auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde, und lässt die tatsächlich formulierte Frage links liegen.

Die Formulierung ‚links liegen lassen’ ist in diesem Fall unfreiwillig passend, denn es geht um den Landesvorstand der Nord-AfD. Der hat im Zusammenhang mit dem Parteiausschluss seiner Ex-Vorsitzenden bekannter Maßen eine so deutlich rechte Haltung eingenommen, dass selbst der AfD-Bundesvorstand dagegen fortschrittlich wirkt.

Joachim Schneider, stellvertretender AfD-Landesvorsitzender aus Pinneberg, wurde nach der Entscheidung des Bundesschiedsgerichts gefragt, ob der Schleswig-Holsteinische Landesvorstand sich mit dem Parteiausschluss Sayn-Wittgensteins befassen müsse. Antwort: Der Vorstand sehe keine Notwendigkeit, „die Rechtsmeinung der Landesvorsitzenden in Zweifel zu ziehen“.

Schneider – ein starker Mann?

Dies sagt mehrererlei über Schneider aus:

  1. Der Pinneberger ist Doris von Sayn-Wittgenstein treu ergeben oder hielt es zumindest für opportun, diese Attitüde einzunehmen.
  2. Schneider traut sich und dem restlichen Landesvorstand keine eigene Meinung zu. Er versteckt sich hinter einer Aussage der umstrittenen Dame.
  3. Sayn-Wittgensteins Haltung ist Schneider wichtiger als Partei-Bundesvorstand, AfD-Bundesschiedsgericht und Landesverfassungsgericht zusammen.
  4. Seine Rhetorik ist wenig subtil. Dass seine Antwort zur gestellten Frage schief gelagert ist, merken alle, die nicht gerade trunken vor Selbstverliebtheit darnieder liegen.
  5. Er ist kein starker Mann.

Ungeachtet der Tatsache, dass die Möchtegern-Adlige, die sich schwer tut, die Herkunft ihres Namens zu erklären, nun doch den Vorstand der Nord-AfD verlassen hat, liefert der Vorfall genügend Material, um beunruhigt zu sein.

Hetz- und Spalt-Rhetorik

Denn schaut man sich die Rhetorik des Joachim Schneider z.B. auf seinem Facebook-Auftritt einmal an, so stößt man schnell auf Begriffe und Bezeichnungen wie ‚Lügenpresse’, ‚Einheitspartei’ (damit bezeichnet er SPD, CDU, FDP und Grüne) und ‚ „Deutschland-Verrecke“ Parteien CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken’. Wortschöpferisch hat der Mann noch mehr zu bieten: ‚Dumme deutsche Dummschafe gehen zum Glück jeden Tag arbeiten und merken eh nichts mehr.’ Er setzt diese Äußerung in Zusammenhang mit Ausgaben für die Flüchtlingsintegration – die übliche wohlfeile Hetz- und Spalt-Rhetorik.

Spätestens damit wird klar, wer seine Zielgruppe ist: Menschen, die sich benachteiligt fühlen und resigniert bis deprimiert sind. Die sich beim Leiden verstanden wissen wollen. Menschen, die ein Ziel für ihren Groll suchen.

Nun ist diese „Wir-gegen-die“-Rhetorik ja nicht Schneiders Alleinstellungsmerkmal. Sie kann als typisch für seine politische Heimat angesehen werden, ebenso wie die Verleumdungsrhetorik gegen Migranten, Politikerinnen anderer Parteien und Journalisten, und das kann entlarvt werden. Cem Özdemir hat es in seiner vielbeachteten Bundestagsrede im Februar 2018 vorgemacht.

Passender Anlass…

Der Tag der Deutschen Einheit ist ein passender Anlass, sich zu vergegenwärtigen, wie wichtig es ist, sich nicht an die zunächst verleugnenden, dann verleumdenden und schließlich spaltenden Narrative der Rechten zu gewöhnen.

 

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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