Dumm-dreiste Wahlwerbung

Ein Brief, in dem man zur Wahl der AfD aufgerufen wirdGestern Abend haben wir einen Umschlag aus dem Briefkasten gefischt, der an „alle Mitbürger“ an unserer Wohnadresse gerichtet war. Eine Postwurfspezial-Sendung, nicht eben die billigste Versandart. Was konnte das sein: Werbung eines Stromanbieters? Eines neu eröffneten Geschäfts? Eines Lieferservice? Oh … der Inhalt war sofort klar, als der Blick auf den Absender fiel, die Stöcker Verwaltungsgesellschaft in Groß Grönau. Die Firma des Mannes also, der Anfang des Jahres mit einer Großspende von 1,5 Mio. Euro an die AfD von sich reden gemacht hat. Und tatsächlich: dumm-dreiste Wahlwerbung landete auf dem Tisch.

Das vierseitige Schreiben ist datiert vom 30.1.2025 und unterzeichnet mit dem Namen Winfried Stöcker (allerdings ohne handschriftlichen Namenszug). Dennoch ist der 1947 geborene Stöcker der plausible Absender, siehe seine Parteispende.

Die Parolen – nicht begründete Tatsachenbehauptungen und Beschimpfungen – sind schwer zu ertragen, wenn man an aufrichtiger Auseinandersetzung interessiert ist. Diese Mühe macht sich der Verfasser nicht.

Es geht los mit einer nebulösen Beschimpfung: Wir erlebten „heute einen durch Ineptokratie (Herrschaft der Unfähigen) hervorgerufenen Niedergang in Deutschland“. Weder wird genauer ausgeführt, wen der Verantwortliche dieses Schreibens für unfähig hält. Den Bundeskanzler? Minister:innen? Bestimmte Beamte? Den Landeschef? Kommunalpolitiker:innen? Noch – und das ist entscheidender – lässt er sich zu einer Erläuterung herab, an welchen Faktoren er den „Niedergang“ festmacht. Nun: So können wenigstens alle nicken, die diffus unzufrieden sind.

Meinungs- und Pressefreiheit

Im zweiten Satz liest sich die Formulierung, „ideologisch verblendete Dilettanten in Regierung und Verwaltung“ beinah höflich, bedenkt man, wie es dann weitergeht. Jene nämlich hätten Stimmen der Vernunft „durch Beschneidung der Meinungsfreiheit“ ausgeschaltet. Dieser angebliche Eingriff wird allerdings nirgends in dem Schreiben spezifiziert.

Mit Geringschätzung gegenüber Journalist:innen wird nicht hinter dem Berg gehalten. So wird auf Seite 2 des Schreibens die Äußerung eines Journalisten des „Blättchens Wirtschaftswoche“ aufs Korn genommen.

Dumm-dreiste Wahlwerbung: ein Brief von Winfried StöckerAuf Seite 3 fährt Stöcker (oder sein Briefeschreiber) fort: „Rot-grüne Intriganten“ hätten ein Treffen politisch interessierter Bürger im November in Potsdam zum Anlass genommen, Menschen aufzuhetzen. Derlei kenne er, Stöcker, „vom Dritten Reich […], als man mit Hilfe einer gleichgeschalteten Presse die Wahrheit verbogen“ habe.

Ein Klopfer! Denn wann, bitte, wurden hier zuletzt Zeitungen willkürlich verboten? Wo finden sich staatliche Vorschriften, worüber zu berichten sei? Welche Journalist:innen erhielten Berufsverbot?

Würde Stöcker seine Bezichtigung auf die aktuellen Ereignisse in den USA beziehen, wo die Regierung missliebige Medien mit teuren Prozessen überzieht, die sich diese nicht leisten können – da könnte er wenigstens mit dem Finger auf Missstände deuten.

„Die halbe Dritte Welt“

Doch natürlich arbeitet sich der reiche Unternehmer an der Bundesrepublik ab. Die dumm-dreiste Wahlwerbung spart nicht mit weiteren Beschimpfungen und haltlosen Behauptungen, von denen hier nur noch eine Auwahl wiedergegeben sei. So heißt es im zweiten Absatz des Schreibens: „Die CDU“ habe vor zehn Jahren „die halbe Dritte Welt zu uns eingeladen“. Im Ernst, AfD und / oder Unterstützer, das glauben Sie?

Mit dem Sprachduktus des Überlegenen spart der Schreiber nicht. So bezeichnet er die Ziele seines Missmuts als

  • Farblose Figuren, Politiker der zweiten Wahl
  • amtierende Nichtskönner
  • Parteien, die „unser Volk aufhetzen, nach dem Vorbild der höchsten Anführer der früheren NSdAP“
  • ein paar nutzlose Beamte
  • politische Dilettanten
  • dumme Bürokraten

Die Lösung

Space ShuttleIn Lübeck, so Stöcker, würde er den Flughafen gern ausbauen. Allein – die städtische Verwaltung verwehrt ihm die gewünschten Entwicklungsmöglichkeiten (Seite 4). Ist es nicht erstaunlich, was ein derart dynamischer und tatkräftiger Mann alles erduldet?

Dabei gäbe es doch eine naheliegende Lösung: Zusammen mit dem Freund im Geiste, Elon Musk, frohgemut noch ein wenig an SpaceX herumschrauben – und dann: Ab ins All!

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.