Krimi-Genres

Im Krimi stirbt jemand. Das ist aber auch beinah das einzige, was feststeht. Alles andere – Ermittlungspersonal, Mordmethode, Alter und soziale Stellung der Verbrecher, Erzählweise, Örtlichkeit, Brutalität, Humor, Motiv – kann variieren. Entsprechend unterschiedlich ist die Art und Weise, wie Spannung in den Krimi-Genres entsteht. Hier meine persönliche Rezeptsammlung, angereichert mit den besten Fundstücken aus meinem Regal.

Wer war’s? Whodunit

Viele denken beim Stichwort Krimi an Sherlock Holmes, Miss Marple oder Hercule Poirot. Alle drei liebe ich; alle drei sind gewiefte, hochintelligente Ermittler, denen kein Übeltäter durch die Lappen geht. Sie treten auf den Plan, wenn andere längst das Handtuch geworfen haben. Die typische Situation ist: ein Verbrechen wurde verübt, der oder die Täter sind unbekannt. Scotland Yard ist ratlos. Alles fragt sich: Wer hat es nur getan?
Diese Frage – englisch: Who has done it, umgangssprachlich verkürzt: Whodunit? – hat dem Genre zu seinem Namen verholfen. Die Spannung entsteht entweder durch viele Tatverdächtige mit schlüssigem Motiv oder dadurch, dass überhaupt niemand verdächtig erscheint. Die schärfsten Waffen der Ermittler sind ihre zwingenden Schlussfolgerungen.

Historischer Krimi

Spielt die Geschichte in der Vergangenheit, sind die reduzierten technischen Mittel der Ermittler äußerst reizvoll. Wie verständigt man sich möglichst schnell ohne Mobiltelefon? Wie hat man eigentlich ohne DNA-Analyse Beweismittel beschafft? Wie konnte der Täter ohne Auto so schnell entkommen?
Man denke nur an den Namen der Rose, als es zum Vervielfältigen eines Textes hoch gebildeter Mönche bedurfte. Da darf dem Jäger kein Detail, kein Staubkorn am falschen Platz entgehen. Und erst recht kein fehlendes Staubkorn am richtigen Platz.

Rasante Verfolgungsjagden, spektakuläre Fluchten – mit einem Wort: Action – ist auch beim Geschehen in einer vermeintlich ruhigeren Epoche nicht fehl am Platz. Weitere spannende Zutaten sind Intrigen, Fehden und die riesige Kluft zwischen Herzog und Magd, zwischen Prinzessin und Reitlehrer (Assoziationen heutiger Konflikte nicht ausgeschlossen…).

Spionageroman

Besonders raffinierte Verwicklungen liefern Spionageromane. Kein Wunder: Ist doch das Umfeld an sich schon geheimnisvoll.

Dann noch dieser Doppelagent… oder ist er doch nur ein harmloser Nachbar? Und die schummrige Adresse im Hinterhof: ein toter Briefkasten?

Ich brauche nur einen Mann zu sehen, der im Nieselregen seinen Mantelkragen hochschlägt, schon denke ich an George Smiley aus John le Carrés „Dame, König, As, Spion“. Oder an geschüttelte, nicht gerührte Martinis.

Schwedenkrimi

Auch wenn dies keine literaturwissenschaftliche Kategorie ist, zählen doch schwedische oder allgemein skandinavische Krimis bei der Leserschaft zu den Krimi-Genres und sind dort eine Klasse für sich. Und zwar nicht nur – wie Wikipedia betont – auf Grund einer gesellschaftskritischen Einfärbung. Häufig sind hier besonders grausame Täter am Werk, seien es perfide Psychopathen oder irre Rächer.

Gewaltdarstellungen lesen sich streckenweise wie ein Selbstzweck – Geschmacksache… Meine persönliche und mitnichten durch Studien belegte These: die Tendenz zur Düsternis erwächst aus den unerbittlichen, schier endlosen Winternächten im hohen Norden. Ich habe in Schweden Konzerte einheimischer Komponisten besucht, die eine depressive Seite in mir zum Vorschein brachten, von der ich vorher gar nichts wusste!

Zurück zur Spannung im Skandinavien-Krimi: Man zittert um die Wette mit den Ermittlern beim Gedanken an jedes weitere potenzielle Opfer!

Psychokrimi

Vom Schwedenkrimi kein weiter Weg hierher: Psychokrimis sind der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind. Wer im Schlaf schon rennen musste, ohne vom Fleck zu kommen, dafür aber gieriges Stöhnen im Busch nebenan zu hören bekam, weiß, wovon die Rede ist. Es passieren die unwahrscheinlichsten Dinge, sodass man es kaum aushalten kann. Absolut unvorhersehbar. Das ist der eine Aspekt, der Spannung erzeugt. Der andere ist: wie einfallsreich ist der Protagonist; wie gut kann die Geisel improvisieren?

Auch wenn man hoffen mag, dass das Opfer plötzlich – wie es im Traum manchmal passiert – fliegen kann, wenigstens im übertragenen Sinne, so ist doch eines klar: Davor ist jede Menge Beklemmung zu ertragen, wie etwa in „Lauf, Jane, lauf“ von Joy Fielding.

Kinderkrimi/Jugendkrimi

Was für ein Fest, wenn die drei ??? unerschrocken und superpfiffig wieder einen schwierigen Fall gelöst haben! Beweisen Sie doch ein ums andere Mal, dass man sie nicht unterschätzen sollte. Immerhin sind die drei Freunde höchstoffiziell als Detektive unterwegs, mit Billigung der Polizei und im Besitz einer Visitenkarte.

Anders als Emil, der eigentlich nur seine Großmutter besuchen will und notgedrungen in die Rolle des Aufklärers schlüpft, nachdem er selbst Opfer eines dreisten Diebs geworden ist. Auch Emil und die anderen selbst ernannten Detektive schlagen in Erich Kästners Klassiker den Erwachsenen ein Schnippchen.

Aus falschen Vorurteilen gegenüber den blutjungen Ermittlern ergeben sich viele spannende Aspekte im Kinder- und Jugendkrimi. Denn manchmal kann Unterschätztwerden wie ein Schutzschild wirken, hinter dem man unbeobachtet seine Vorbereitungen zur Überführung der Bösewichte treffen kann.

Regionalkrimi

Es begann wohl mit den Eifelkrimis. Nachgezogen haben Ostfriesland, Bayern und der Ostseeraum. Mittlerweile gehören Regionalkrimis zu den beliebtesten Krimi-Genres, und gibt es Romane für Köln und Kiel und Quakenbrück. Und außerdem für jedes Kleinkleckersdorf, in dem einer wohnt, der die Computertastatur unfallfrei bedienen kann.

Regionalkrimis werden als Gattung zusammengefasst, obwohl sie das eigentlich nicht verdienen. Denn darunter gibt es den Whodunit ebenso wie den Psychothriller, doch leider auch das unbeholfene Geschreibsel, das kaum über die Qualität eines Schulaufsatzes hinausreicht.

Worauf die Spannung in diesem Pseudo-Genre beruht, ist also unterschiedlich, und ob es überhaupt gelungen ist, Spannung zu erzeugen, mitunter diskussionswürdig. Das für viele Leserinnen und Leser Interessante sind die Schauplätze. Man stelle sich vor, im Café Meyer um die Ecke gäben sich gewiefte Gauner die Klinke in die Hand. Wow, darauf muss man erstmal kommen!

Milieustudie

Auch wenn die Kriminalliteratur zuweilen als seicht geschmäht und grundsätzlich in die Ecke des Groschenromans gerückt wird, gibt es genügend Beispiele für literarische Krimis, für deren Rezension sich auch Feuilletonisten nicht zu schade sind. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Krimihandlung den Blick auf die Hintergründe der Tat ausweitet und das Milieu studiert, aus dem der Täter kommt oder das ihn zur Tat getrieben hat.

Lieblinge der Kritiker sind Raymond Chandler oder Joseph Conrad. Ich möchte zwei meiner Favoritinnen nennen, die mich schier begeistert haben: Juli Zeh mit „Unterleuten“ und Minette Walters mit „Schlangenlinien“. Beiden gelingt es auf brillante Weise, Spannung dadurch aufzubauen, dass sie einen unmissverständlich ahnen lassen, dass es in diesem Dorf, in dieser Straße mindestens einen Keller mit Leiche gibt. Man kann gar nicht anders als ständig neu zu spekulieren, wo!


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