Wattige Schatten

Wattige Wolken am Suhrer SeeWer abschalten will, fährt ans Meer, lässt plätscherndes Wühlen die Sorgen umspülen. Oder steigt auf den Berg, weil er denkt, dass der Wind dort Gedanken an Lastwolken hängt. Auch kann man, um nichts mehr zu spüren, Rituale mit Wasser und Whisky und Gläsern vollführen.

Ich jedoch brauch nur meinen Balkon. Denn dort habe ich beste Sicht himmelwärts, und das heißt, hier bei uns: es gibt Wolkenkunst zu bestaunen.

Sie haben Artistinnen, große, da oben, und die haben Launen!

Sie lüften Schleier und lüpfen wattige Schatten, sie verstehen, wie zartestes Wehen zu gehen, sie tänzeln und wirbeln, springen auf, bleiben liegen, und lassen sehr anmutig Fetzen fliegen, mal weiß und mal grau, und sie stehlen sogar der Sonne die Schau. Sie können drohen und dräuen, sich türmen und blocken und mauern und schwarze Farbe anlocken, sich ballen und knallen bis nur noch Thors Leute sich freuen.

Zeit dehnt sich, ich schlüpf in die Fuge, Wind lehnt sich kurz an mich. Ich steh da und vergehe. Stehen und lehnen und sehen und sehnen wird eins. Ist meins.

Wie war das: meins? Ich – mir, mich? Was hieß das noch gleich?


Text und Foto: Karla Letterman

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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