Mäuse statt Elefanten

Ich hatte die Blockomas schon ganz vergessen. Zum Glück müssen wir nicht mehr für sie einkaufen. „Die Strafe ist abgegolten“, hat die bunte Oma nach dem letzten großen Geschleppe im Drogeriemarkt gesagt und mir zugezwinkert. Doch komischer Weise hatte ich das Gefühl, sie war selbst froh darüber. Bonbons gab es sowieso schon nicht mehr. Und als ich sie mal in der Apotheke gefragt habe, ob sie eigentlich all die Schlaftabletten auf Vorrat kauft oder ob sie etwa jeden Abend zehn Stück oder so einnimmt, hat sie mich richtig angefaucht. Ich habe mich echt erschrocken, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

Naja, vorbei. Wenn ich die ganzen Elefanten heute nicht im Schwimmbad gesehen hätte, würde ich bald nicht mehr wissen wer damit gemeint ist, wenn Marvin über sie redet.

Ein Hochsitz auf dem Scholben

Wir hatten ja auch genug zu tun. Haben nämlich einen Hochsitz gekapert, und nachdem Leons Vater uns stabile Holzlatten auf den Scholben gefahren hat, haben wir die ganze Sitzfläche ausgebessert. Haben eine ganze Schicht Latten quer über die alten kaputten gelegt. Das war ein Akt! Kaum hatte man ein Holzstück hoch gewuchtet, stellte sich raus dass es zu lang war. Oder viel zu kurz. Wir haben dann eines, das gut passte, wieder runtergeschleppt und als Maß verwendet. Jedenfalls bis Bingo es auf den falschen Stapel geworfen hat. Aus Versehen. Sagt er. Hätte ich an seiner Stelle auch gesagt, denn wir waren voll wütend. Am nächsten Tag ging ja der Ärger mit den falschen Latten wieder los. Wir wurden viel zu spät fertig. Und dann kam auch noch Alopa vorbei, ich glaube, er wollte uns schon wieder reinreiten. Er hat mir wohl die Geschichte mit Leons Vater nicht geglaubt, weil man normalerweise nicht auf den Scholben fahren darf. Außer man hat eben gute Beziehungen zum Förster. Ätsch, Alois, diesmal war nix mit Ertappen!

Zum Glück hat er keinen Wind davon gekriegt, dass wir auf der Lichtung beim Hochsitz manchmal Feuerchen machen. Das muss keiner wissen und da muss uns keiner warnen, wir passen sowieso auf. Ist auch nicht einfach so zum Spaß. Marvin will nämlich Tayfun helfen, auch wenn der das gar nicht weiß. Im Keller von der Döneria tauchen in letzter Zeit öfter Mäuse auf. Marvins Vater hat natürlich Fallen aufgestellt, jede Menge, um sicher zu gehen. Aber Marvin sagt: „Wenn mein Papa mitkriegt, dass immer alle Fallen voll sind, haut ihn das um. Dann bekommt er Stress wegen Hygiene und so. Mehr als zwei darf er am Tag nicht finden!“

Das Katzenproblem

Also sammelt Marvin tote Mäuse aus den Fallen. Die kann er natürlich nicht ewig im Schulranzen behalten. Deshalb haben wir verschiedene Katzen ausprobiert: Mmh, guck mal, Leckerchen! Denkste. Keine einzige hat angebissen. Die Lulu von Sophie, eine hochnäsige, schwarze, die Bingo anschleppen musste, weil er sowieso alles toll findet was mit Sophie zusammenhängt, hat sich vor uns aufgepflanzt und in aller Seelenruhe ihr glänzendes Fell geputzt. Die hat nicht mal in die Richtung vom Mausmahl geguckt.

Deshalb hatte Bingo die Idee. „Wir grillen die Mäuse! Dann sind sie bestimmt viel leckerer für die Katzen!“ Marvin war gleich begeistert: „Au ja, wir machen Mausdöner!“ Leon sah mich an. Mir war es egal, wie die Mäuse zubereitet wurden, solange es mit Feuerchen zu tun hatte. Doch Leon tippte sich an die Stirn und meinte: „Mausdöner. Mit Joghurtsoße und Gurken, oder was?“ Da merkte Marvin auch, dass seine Idee bisschen übertrieben war. Einen Spieß wollte er aber besorgen.

Am Donnerstag waren Leon, Marvin und ich pünktlich am Scholben. Aber Bingo tauchte nicht auf. Marvin steckte schon mal sechs Mäuse auf den spitzen Metallspieß. Sah voll professionell aus, wie er erst in so blaue Küchenhandschuhe reinschlüpfte, Finger gespreizt, und dann den Spieß bestückte. So heißt das nämlich, sagt er. Leon und ich sammelten schon mal Holz, vor allem Reisig, denn als Feuerholz haben wir noch genug von den zu kurzen Hochsitzlatten. Bingo anrufen war nicht, da oben ist kein Empfang. Also fingen wir an. Marvin hatte Grillanzünder dabei, das ging voll ab!

Der riesige Hund

Mann, hab ich mich verjagt, als der Riesen-Zottelhund um die Ecke kam! Er hechelte wie wild und sabberte mit seinen hängenden Lefzen, das sah aus wie Schaum. Ich dachte schon „Scheiße, Tollwut!“, darüber hatte mir Larissa einiges erzählt, doch mein Kopf war plötzlich leer. Dann hörte ich Bingos Lachen. „Hab uns einen Wachhund mitgebracht!“

Typisch Bingo. Er hatte Sophies Mutter versprochen, mit dem Viech, das sie selbst zur Pflege aufgenommen hatte, Gassi zu gehen. Natürlich nur, um bei Sophie zu punkten. Die und ihre Mutter sind sowas von tierlieb, das grenzt schon an Fanta-ismus oder so, sagt Alopa immer. Damit hat er Recht, obwohl ich nicht so ganz genau weiß, was das bedeutet. Irgendwas mit krasser Übertreibung jedenfalls. Wie wenn man zuviel Fanta säuft. Zerberus, also der Hund, war Marvin, Leon und mir nicht so geheuer. Trotzdem fanden wir es nachher cool, dass er da war.

Mäuse grillen ohne Dönerausrüstung

Und das kam so. Mäuse am Spieß grillen ist echt mühsam. Jedenfalls wenn man keine Dönerausrüstung hat, sondern den Spieß immer in der Hand halten muss. Bei den ersten sechs hat es noch einigermaßen Spaß gemacht, jeder wollte mal den Mausspieß drehen, und man hatte schnell Ablösung. Aber beim zweiten war es schon nervig, die Mäuse draufzustecken, das Metall war ja noch heiß, und Marvin hat sich zwei Finger verbrannt. Und das Drehen wurde öde, immer halten und aufpassen, dass nichts anbrennt. Und was wollten wir überhaupt mit den fertig gegrillten Mäusen machen? Darüber hatten wir gar nicht nachgedacht. Und dann der Haufen mit den rohen Viechern. Irgendwie auch eklig.

Bingo hatte die Hundeleine ein bisschen außer Acht gelassen. Und wir anderen hatten uns wohl an das Gehechel gewöhnt und nicht auf Zerberus geachtet. Plötzlich machte es „schnapp!“ wie wenn der Deckel von einer Holztruhe zuklappt. Und weg waren die Mäuse. Zuerst die rohen. Dann die gegrillten. Leon, der gerade mit Drehen dran war, ließ vor Schreck den bestückten Spieß ins Feuer fallen. Marvin fing zwar an zu nörgeln, Dönerspieß verdorben, alles umsonst und so. Aber in Wirklichkeit war er genauso froh wie alle.

Jetzt kürzen wir das Mausproblem ab: wir treffen uns bei Marvin, bevor wir zum Hochsitz gehen. Bingo bringt Zerberus mit, der macht „schnapp!“, und wir haben für den Rest des Nachmittags Ruhe.

Über Karla Letterman

Krimiautorin und Kolumnistin aus Lübeck. Stammt aus dem Harz und hat in Göttingen und Hamburg gelebt.
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